Oft wird uns in Erstberatungen die Frage gestellt: „Müssen wir jetzt eigentlich alle Hierarchien abschaffen, wenn wir agiler werden wollen?“ Die kontroverse Diskussion um den richtigen Führungsstil und das richtige Maß an Strukturen sorgt in vielen Unternehmen für Unsicherheit. Ich erkläre meinen Standpunkt gerne am Beispiel der Feuerwehr – hier sieht man sehr deutlich, dass sich Agilität und Führung nicht ausschließen, ganz im Gegenteil!

Auf den ersten Blick scheint es sich bei den Feuerwehren um äußerst straffe Organisationen mit hierarchisch geprägten Strukturen und starren Prozessen zu handeln. Ich bin seit vielen Jahren in der Freiwilligen Feuerwehr engagiert und kann sagen: Der Eindruck täuscht! Unternehmen mit dem Wunsch nach mehr Agilität können noch viel von der Feuerwehr lernen, von der Fehlerkultur über Wissenstransfer bis hin zu agilen Grundprinzipien wie Vertrauen und dem Verständnis von Führung.

 

Agilität braucht Führung

Um auf die anfangs gestellte Frage nach Hierarchien zurückzukommen: Der Begriff „Hierarchie“ ist im agilen Kontext recht negativ belegt. Ich möchte Sie mit diesem Blogartikel dazu anregen, den Begriff differenzierter zu betrachten! Denn Hierarchien gibt es immer, sobald Menschen miteinander agieren. Wenn Sie die bestehenden Hierarchien in Ihrem Unternehmen auflösen, werden sich in kurzer Zeit neue Hierarchien bilden: Wer hat das meiste Fachwissen, die größte Erfahrung oder die ausgeprägtesten sozialen Soft Skills? Richtig verstanden tragen Hierarchien dazu bei, dass die Personen mit dem größten Talent für eine bestimmte Aufgabe freiwillig Verantwortung und Führung übernehmen – aber nur, weil das Team es so will und solange das Team es so will.

Zum Problem werden Hierarchien immer dann, wenn sie von oben vorgegeben werden und nicht von der Eignung für eine Aufgabe abhängen. Hierarchien, die sich selbstorganisiert, temporär und vor allem kontextorientiert bilden (und auch wieder zerfallen), sind hingegen durchaus kompatibel mit dem agilen Gedanken und sorgen dafür, dass stabile Muster für die Zusammenarbeit entstehen.

Ähnlich verhält es sich mit der Hierarchie bei der Feuerwehr: Die Führungsebene wird durch die Mitglieder der Feuerwehr aus den eigenen Reihen bestimmt, d.h. Leiter der Feuerwehr wird derjenige, der aus Sicht aller am besten für diese Aufgabe geeignet ist. Er gibt im Einsatz aber nicht jedes Detail vor, sondern kann sich darauf verlassen, dass jeder Einzelne im Team aufgrund seiner Ausbildung weiß, was er wie zu tun hat. Wie ein Scrum Master schafft er die Rahmenbedingungen für einen sicheren und effektiven Einsatz und kümmert sich um die Beseitigung von Konflikten und Risiken. Der Gruppenführer leitet – vergleichbar mit dem Product Owner – den konkreten Einsatz und priorisiert und verteilt die Aufgaben.

 

Agile Prinzipien im Kontext von Hierarchie

Wie in agilen Teams sind auch in Feuerwehren gut ausgebildete Mitglieder mit breiter Wissensbasis und zusätzlichen Spezialkenntnissen gewünscht – sogenannte „T-Shaped People“. Jede Feuerwehr-Einheit ist so aufgestellt, dass alle nötigen Kenntnisse für die Erfüllung der gemeinsamen Vision „Retten – Löschen – Bergen – Schützen“ vorhanden sind, u.a. Funker, Maschinist, Atemschutzgeräteträger usw. Kurz gesagt ein crossfunktionales Team, das kooperativ agiert und dessen Mitglieder sich gegenseitig vertrauen müssen.

Typische Szenarien werden in Übungen intensiv trainiert, jeder Ablauf muss sitzen, jedes Werkzeug hat seinen festen Platz – vergleichbar mit den Prinzipien des Lean Management. Dabei setzt auch die Feuerwehr auf eine Fehlerkultur, denn nach jeder Übung und jedem Einsatz werden wie in einer agilen Retrospektive Fehler offen diskutiert und gemeinsam besprochen, mit welchen Maßnahmen die Prozesse und die Kollaboration kontinuierlich verbessert werden können.

 

Fazit

Auch in augenscheinlich straff organisierten Strukturen funktionieren die agilen Prinzipien. Agilität hat viele Facetten und agiles Handeln hat weniger mit Ihrer Organisationsstruktur als mit Ihrer Bereitschaft zu einer modernen Form der Zusammenarbeit und mit dem Willen zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu tun. Es kann sehr wohl Sinn machen, dass Sie alte Strukturen und Hierarchieebenen überdenken – wenn Sie Ihren Teams den nötigen Freiraum geben, dass neue, dynamische Hierarchien innerhalb echter Selbstorganisation entstehen können.

Es gilt, die für Ihr Unternehmen und Ihre Mitarbeiter richtige Balance zu finden – wir helfen Ihnen gerne dabei!

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Ron Jatzkowski war als Scrum Master und Agile Coach bei Teamprove tätig.

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