Immer wieder treffe ich bei meiner Arbeit oder auch in meinem Netzwerk auf Scrum Master und Agile Coaches, die mit der Umsetzung des Scrum Guides in ihrem Team irgendwie unzufrieden sind oder die Freude an ihrer Tätigkeit verlieren, weil die eingesetzte agile Methode nicht die versprochenen Ergebnisse erzielt. Dabei finden sie Agilität gut, sind motiviert und hatten in der Regel auch eine mehrtägige Schulung, die sie für ihre Rolle ausbilden sollte. Sie fühlten sich gut vorbereitet, das Team in allen Fragen rund um Agilität und Scrum zu coachen. Wie schwierig die Umsetzung von Agilität in der Realität ist, stellen sie oft erst viel später fest. Aber was unterscheidet den Profi von einem Laien? Der Profi hat einen Coach!

Der agile Alltag

Sie stehen Problemen gegenüber, von denen im Scrum Guide nichts geschrieben steht und über die in den Schulungen zum Agile Coach nichts erzählt wurde. Ihr Team ist kein autonomes Team, in dem jeder alles kann, so dass Sie im Task Force Stil einfach durchstarten können? Es gibt keine einheitlichen Anforderungen? Oder mehr als ein einzelnes Projekt? Wie bekommen Sie Neuentwicklungen, die planbar sein sollen, mit Wartungen, Supportaufgaben oder Bugs unter einen Hut? Schließlich soll bei Problemen sofort reagiert werden statt den Kunden auf den nächsten Sprint zu vertrösten. Wie gehen Sie damit um, dass im Team nur Spezialisten sind? Oder dass Bottlenecks entstehen? Wieso versteht eigentlich niemand, wofür Sie Scrum machen? Sie haben es doch schon tausendmal erklärt, wie Sie es in der Schulung gelernt haben – und trotzdem wird das Mindset einfach nicht besser?

Die Liste der möglichen Schwierigkeiten ist lang und zu individuell, als dass eine Schulung oder ein Kurs auf jede einzelne davon vorbereiten könnte. Mitarbeiter eine Schulung machen zu lassen, ist also nur ein erster Schritt, qualifiziert aber nicht ausreichend für die neue Rolle. Schulungen und Zertifikate vermitteln die Basics, aber die Umsetzung muss in der Regel eigeninitiativ erlernt werden. Learning by Doing. Und das in einer so wichtigen Position, in der man doch eigentlich den anderen Teamkollegen zeigen soll, wie Agilität richtig geht!

Lösungsansatz Coaching

Es verwundert also wenig, dass viele frischgebackene Scrum Master und Agile Coaches frustriert sind. Statt die Scrum Master und Agile Coaches an weiteren Theorie-Schulungen teilnehmen zu lassen oder im schlimmsten Fall die Transformation abzubrechen, ist Coaching eine viel praxisorientiertere Lösung. Im Bereich Leadership ist Coaching bereits gang und gäbe, bei Agile Coaches und Scrum Mastern hingegen leider noch nicht sehr verbreitet.

Ich glaube, für viele ist nach wie vor unklar, was genau unter Coaching zu verstehen ist und wie es für Agile Coaches und Scrum Master eingesetzt werden kann. Zunächst ist es wichtig, die verschiedenen Formen der Unterstützung zu unterscheiden. Oft werden Berater, Trainer, Coaches und sogar Therapeuten nicht klar voneinander abgegrenzt.

Der Berater

… ist Experte auf einem bestimmten Gebiet. Er kennt die Best Practices, Strategien sowie viele Menschen und Studien, die bei der gewünschten Zielerreichung bereits erfolgreich waren. Auf der Basis seines Wissens gibt er eine klare Empfehlung.

Der Trainer

… fokussiert stärker auf Erfahrung. Er gibt keine Empfehlung, sondern vermittelt Fähigkeiten, die erfahrungsgemäß zur Zielerreichung beitragen.

Der Therapeut

… ist ein gesetzlich geschützter und staatlich zertifizierter, medizinischer Heilberuf. Er behandelt psychische Erkrankungen mit verschiedenen Therapieformen.

Der Coach

… unterstützt dabei, vorhandene Ressourcen zu aktivieren und aus eigener Kraft herauszufinden, wie das Ziel erreicht werden kann. Er bietet den dafür nötigen Rahmen und hilft dabei, durch gezielte systemische Fragestellungen Selbstlernprozesse in Gang zu setzen und so Lösungsideen zu generieren. In der Regel ist für ein Coaching keine fachliche Expertise im Bereich des Gecoachten („Coachee“) notwendig.

Coachings für Scrum Master oder Agile Coaches

Ganz im agilen Sinne steht die individuelle Lösung über der Methode. Ein Coach für einen Agile Coach oder Scrum Master sollte aber idealerweise – entgegen der reinen Coaching-Lehre – auch Fähigkeiten vermitteln können (Trainer-Rolle) und Wissen zu Best Practices einbringen (Berater-Rolle). Der gezielte und punktuelle Einsatz von Beratung und Training bietet „Blaupausen“, an denen sich der Coachee zukünftig orientieren kann. Auch das Verständnis des Scrum Guides kann durch einen fachlichen Coach geprüft, aufgefrischt und gefestigt werden.

In der Kombination dieser Rollen und dem geschickten Wechsel wird der Coach zum Mentor. Dennoch wird er mit Rollensprüngen sparsam umgehen, um das eigene Lösungsdenken des Coachees nicht auszubremsen. Das Coaching steht klar im Vordergrund. Es ist auch wichtig, den Coachee darauf hinzuweisen, wenn der Coach kurzzeitig in die Trainer- oder Beraterrolle wechselt. Ziel ist es, gemeinsam mit dem Coachee systemisch Lösungsideen zu erarbeiten, seine persönlichen Ressourcen zu aktivieren und die Selbstorganisation zu schulen, damit er sich selbst in seiner Tätigkeit weiterentwickeln kann.

Das detaillierte Ziel und dessen Erreichung werden vom Coachee bestimmt – nicht vom Auftraggeber/Vorgesetzten und nicht vom Coach. Wie in jedem Coaching sind außerdem die freiwillige Teilnahme sowie Vertraulichkeit und ein geschützter Rahmen Voraussetzung. Der Coach ist kein Dauergast! Er soll den Coachee dazu befähigen, ohne ihn zurecht zu kommen und alle auftretenden Probleme eigenständig lösen zu können. Er ist Wegbegleiter im Prozess der Umsetzung und strukturiert den Weg methodisch, doch der Wegbereiter ist der Coachee selbst.

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Video-Tipp

Mehr zu den Grundvoraussetzungen eines erfolgreichen Business-Coachings erklärt Matthias Pauers in der Videoserie "HR-Instrument Coaching".
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Der positive Impact von Coaching

Coaching kann eine Vielzahl von positiven Veränderungen bewirken, unter anderem:

  • Komplexe Situationen werden greifbar gemacht
  • Ziele werden besser erreicht
  • Fremd- und Selbstbild nähern sich an
  • Stress wird reduziert und Selbstorganisation verbessert
  • Die Lösungs- und Entscheidungskompetenz wird gesteigert
  • Das Selbstbewusstsein und die Willenskraft/Motivation werden gestärkt
  • … sowie viele weitere positive Effekte.

Sie sind Agile Coach, Scrum Master oder Führungskraft eines agilen Teams und kennen die in diesem Artikel angesprochenen Probleme aus Ihrem Alltag? Ergänzen Sie gerne Ihre Erfahrungen in den Kommentaren, diskutieren Sie mit unserer Community auf unserer Plattform Teamprove Wissen oder fragen Sie uns nach unserem speziellen Coaching-Angebot für Scrum Master und Agile Coaches!

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Sabrina Tratsch war als Scrum Masterin und Agile Coach bei Teamprove tätig.

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