Was passiert, wenn man eine beruflich bunt gemischte Kleingruppe in einen hip ausgestatteten Raum mit Sofas, Whiteboards, Lego, Knete und großen Stapeln von Post-its sperrt? Vielleicht ist es die Geburtsstunde eines millionenschweren Start-ups wie „Pulse“. Vielleicht entwickelt ein renommierter Markenartikler das Trendprodukt von morgen. Vielleicht wird aber auch einfach nur eine bestehende Dienstleistung optimiert. Denn neben märchenhaften Gründerstories ist das eigentlich Faszinierende an Design Thinking, dass es bei allen Unternehmenstypen, Unternehmensgrößen und Portfolios funktioniert. Ob Start-up oder Marktführer, Einzelkämpfer oder Großkonzern: Langfristig erfolgreiche Geschäftsmodelle basieren immer auf Kundennähe und der Fähigkeit, starke Ideen zu selektieren und rasch auf den Markt zu bringen.

Aber wie erkennt man eine gute Idee?

Um das Potenzial von Ideen zu bewerten, müssen diese aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden:

Mensch: Löst die Idee ein Problem („Wünschbarkeit“)?

Starke Ideen sind immer an den Bedürfnissen und Problemen des Verbrauchers ausgerichtet. Dabei muss der Wunsch keineswegs konkret artikuliert werden: Beispielsweise wäre das Auto nie erfunden worden, hätte Henry Ford darauf gewartet, dass seine Kunden ein motorisiertes Gefährt nachfragen.

Technik: Ist die Idee realisierbar („Machbarkeit“)?

Lässt sich die Idee mit den vorhandenen Mitteln technisch umsetzen?

Business: Gibt es einen Markt für die Idee („Wirtschaftlichkeit“)?

Lohnt sich diese Idee finanziell? Da der Preis eine wichtige Hürde für den Erfolg eines neuen Produkts ist, muss auf eine angemessene Wirtschaftlichkeit geachtet werden.

Innovation entsteht an der Schnittstelle der drei Kriterien Wünschbarkeit, Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit, wobei sich der Schwerpunkt grundsätzlich in Richtung einzelner Faktoren verschieben kann. Das Besondere an Design-Thinking-Prozessen ist, dass hier konsequent von der Wünschbarkeit aus gedacht wird, d.h. der Mensch steht immer im Vordergrund („human centered“).

Um die Kundenbedürfnisse zu verstehen, setzen Design Thinker nicht auf klassische Marktforschung mit großen Umfragen, sondern auf qualitative Interviews und Beobachtungen. Ziel ist es, den typischen Nutzer möglichst intensiv kennenzulernen.

Airbnb: ein Beispiel aus der Praxis

Bestimmt kennen Sie Airbnb – mit rund 25 Milliarden Dollar Marktwert eines der erfolgreichsten Start-ups der Welt. Doch wissen Sie auch, was dem Übernachtungsportal zum Durchbruch verholfen hat? Weder die innovative Geschäftsidee noch das Unternehmertalent der drei Gründer noch eine technisch ausgereifte Website reichten aus, um in die schwarzen Zahlen zu kommen. Ganz im Gegenteil: Rund ein Jahr nach der Gründung dümpelte Airbnb vor sich hin und stand mit 40.000 Dollar Schulden kurz vor der Pleite. Der Wendepunkt war die Zusammenarbeit mit Risikokapitalgeber Paul Graham, der die Unternehmer mit den Prinzipien von Design Thinking bekanntmachte.

Graham schickte das Airbnb-Team raus „an die Front“. Sie besuchten ihre Betten-Vermieter und halfen ihnen, bessere Fotos für die Website zu machen. Sie führten persönliche Interviews mit Übernachtungskunden und tauschen sich über die Usability der Website und die Preisgestaltung aus. Bereits eine Woche später verdoppelte sich der Umsatz und die Wachstumskurve ging steil bergauf.

Was hatte sich verändert? Airbnb fokussierte sich auf die Wünschbarkeit: Sie lernten, was die Nutzer wirklich erwarteten und passten das Angebot an – eine Innovationskultur, die noch heute bei Airbnb gelebt wird. In den Gängen des Headquarters hängen die Ergebnisse von Kundeninterviews an „Customer Story Walls“, für Bettenanbieter wird ein kostenloser professioneller Fotografenservice angeboten und jeder neue Mitarbeiter schlüpft in seiner ersten Arbeitswoche in die Kundenrolle und wird auf eine Reise zu verschiedenen Airbnb-Unterkünften geschickt.

Wie entstehen gute Ideen?

Nur wenige Innovationen, die alle drei Kriterien Wünschbarkeit, Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen, entstehen durch einen genialen Geistesblitz unter der Dusche. Sehr viel häufiger sind erfolgreiche Ideen das Ergebnis eines methodischen Prozesses und der Zusammenarbeit eines großen Teams.

Die dafür erforderlichen Voraussetzungen müssen insbesondere in etablierten Unternehmen häufig erst (wieder) geschaffen werden. Lähmende Bürokratie, „Ja aber“-Mentalität und fehlender Teamgeist hemmen die Innovationsfähigkeit und verstellen den Blick auf die Wünsche der Konsumenten. Junge Start-ups sind hingegen oft agiler, risikofreudiger und offener für wilde Ideen, tendieren aber dazu, sich in ihr Businessmodell zu „verbeißen“ und zu spät die Reißleine zu ziehen.

Das Fazit ist in beiden Fällen gleich: Es werden Produkte oder Services auf den Markt geworfen, für die es keine Nachfrage gibt – ein sehr teurer Lernprozess! Deshalb greifen immer mehr Unternehmen auf Methoden und Werkzeuge zurück, ihre Produktentwicklung effizienter zu gestalten.

Design Thinking ist nur eine von vielen Möglichkeiten, den Innovationsprozess gezielt zu steuern. Dabei baut die Denkschule auf drei Kernkomponenten:

Interdisziplinäres Team

Ein Feind der Innovation sind homogene, eingespielte Teams. Auch wenn diese Teams auf den ersten Blick hervorragend zusammenarbeiten und sich „blind“ verstehen, sind die Ergebnisse meist nur durchschnittlich. Design Thinking setzt stattdessen auf fünf- bis sechsköpfige Projektteams mit Teilnehmern aus unterschiedlichen Abteilungen und Hierarchielevels. Erfahrungsgemäß sind die kreativsten Design-Thinker sogenannte „T-shaped persons“, also Persönlichkeiten, die neben einem tiefen fachspezifischen Wissen (vertikaler Balken) auch Neugier und Offenheit (horizontaler Balken) in das Projekt mit einbringen.

Variabler Raum

Design Thinking erfordert eine räumliche Umgebung, die kreative Prozesse und Kommunikation fördert. Perfekt ist ein offener Raum, der beispielsweise durch mobile Trennwände flexibel gestaltet werden kann. Konzentriertes Arbeiten alleine oder Diskussionen im Team – der Raum muss sich schnell an die wechselnden Bedürfnisse des Teams anpassen. Auch genügend Pinnwände und Whiteboards sowie Papier, Schere, Kleber, Stifte, Bastelmaterial und vor allem jede Menge Post-its gehören zum Design Thinking Prozess.

Iterativer Prozess

Sicherlich lässt sich Kreativität nicht durch eine starre Abfolge von Prozessschritten erzwingen. Doch gerade die heterogen zusammengesetzten Teams im Design Thinking benötigen eine klar strukturierte Systematik, die die Kollaboration unterstützt. Dieser Prozess führt das Team in iterativen Schleifen durch sechs Phasen:

1.    Verstehen
2.    Beobachten
3.    Sichtweise definieren
4.    Ideen finden
5.    Prototypen entwickeln
6.    Testen

In Phase 1 bis 3 steht das Problem und die Nutzer im Fokus. Erst in Phase 4 bis 6 werden Lösungen entwickelt.

Wichtig: Scheitern ist ein fester Bestandteil von Design Thinking. Läuft das Team in eine Sackgasse, wird zurückgespult und gemeinsam entschieden, welche Schritte wiederholt werden müssen. Statt in die falsche Richtung zu laufen und so Zeit und Geld zu verschwenden, korrigiert sich das Team frühzeitig selbst.

Ausblick

Im nächsten Artikel unserer Design-Thinking-Serie zoomen wir noch näher an diesen Prozess heran und zeigen anhand eines Beispiels, welche Herausforderungen das Team zu meistern hat und wie die einzelnen Phasen Schritt für Schritt zur Lösung führen.

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Fasziniert von agilen Methoden begleitet Matthias Pauers Führungs­kräfte auf dem Weg zum „Agile Leader“ und unterstützt Organisationen beim Change Management. Seine Schwer­punkte sind Unternehmens­kultur und Führung, Coaching, Anforderungs­management und Design Thinking.

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