Wir hatten eine neue Blogserie angekündigt, die sich mit den größten Herausforderungen von Remote Work und virtuellen Teams auseinandersetzt. Im ersten Teil starte ich mit einer Grundkompetenz der einzelnen Mitarbeitenden in verteilten Teams: Selbstmanagement.

In unserem gemeinsamen Artikel „Homeoffice und hybrides Arbeiten – Was nehmen wir aus dem Lockdown mit?“ waren sich meine Kollegin Sonja Maria Fabião und ich einig: Wir stehen noch ganz am Anfang eines wachsenden Spektrums an Möglichkeiten, wie wir künftig zusammenarbeiten wollen. Flexiblere Arbeitsmodelle werden ein wichtiger Teil dieser neuen Arbeitswelt sein und das Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Aber damit verteilte Teams langfristig effektiv funktionieren, müssen passende Rahmenbedingungen geschaffen und neue Kompetenzen aufgebaut werden – unter anderem Selbstorganisation und Selbstmotivation.

Zwischen Aufschieberitis und Überperformance: Das richtige Maß an Produktivität

Nie war die Homeoffice-Quote in Deutschland höher, nie waren so viele Branchen und Organisationsbereiche gleichzeitig „remote“, nie zuvor wurde so mutig mit verschiedenen Modellen experimentiert und so schnell dazugelernt. Ein zentrales Lockdown-Learning: Ob wir das Homeoffice als positiv oder negativ empfinden, hat sehr viel damit zu tun, wie gut wir uns selbst organisieren und motivieren können. Während die einen das Mehr an Souveränität lieben und gut mit Work-Life-Blending umgehen können, leiden die anderen an verschwimmenden Grenzen zwischen Freizeit und Beruf, können sich schlechter fokussieren oder vermissen die persönliche Interaktion mit Kollegen und Vorgesetzten.

Extreme Arbeitstypen gibt es selbstverständlich auch außerhalb des Homeoffice. Aber fehlt der direkte Vergleich mit Kollegen im Büro, kippt die Balance zwischen Pflichtbewusstsein und Achtsamkeit noch schneller.

  • Beispiel Prokrastinierer: Erst noch mit dem Hund Gassi gehen, das Geschirr in die Spülmaschine räumen oder den Müll rausbringen – im Homeoffice lauern Ablenkungen an jeder Ecke und es gibt weniger Strukturen gegen die “Aufschieberitis”.
  • Beispiel Überperformer: Schon beim Frühstückskaffee die ersten Mails abarbeiten oder am Wochenende die Präsentation vorbereiten – immer Vollgas für die Firma, kann dieser Arbeitstyp im Homeoffice nur schlecht „die Bürotür hinter sich zumachen“.

Produktives, zufriedenes und gesundes Arbeiten in verteilten Teams erfordert Selbstdisziplin und eine achtsame Selbstführung. Meiner Erfahrung fällt der Wechsel ins Homeoffice etwas leichter, wenn Menschen zuvor bereits in agilen Umfeldern gearbeitet haben – vermutlich, weil in agilen Teams grundsätzlich ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbstmanagement gefordert ist, egal ob die Teams gemeinsam im Büro oder virtuell zusammenarbeiten.

Unterschätzen Führungskräfte diese Herausforderungen, steigt die Gefahr von Unproduktivität, Unzufriedenheit, Stresssymptomen und im schlimmsten Fall Burnouts der Mitarbeitenden. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstmanagement (und eine entsprechende Anleitung und Begleitung der Mitarbeitenden!) ist ein wichtiger Teil der Fürsorgepflicht – ganz besonders in Remote-Work-Konstellationen. Führungskräfte müssen sich rechtzeitig kümmern, wenn einzelne Mitarbeitende zu den Prokrastinierern oder Überperformern zählen. Und: Die Mitarbeitenden müssen bereit sein, an ihrem Selbstmanagement zu arbeiten und Eigenverantwortung für ihre Selbstorganisation und Selbstfürsorge zu übernehmen.

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Trennen Sie Arbeitszonen von Privatzonen

Nicht jeder hat im Homeoffice den Luxus eines abgetrennten Büros. Aber auch definierte „Arbeitszonen“ wie ein eigener Schreibtisch im Wohnzimmer helfen bei der Selbstorganisation. Hier stehen alle Arbeitsutensilien, hier sitzen Sie für Videocalls und hier liegt am Ende des Arbeitstages Ihr (abgeschaltetes) Firmen-Smartphone bis zum nächsten Morgen. Nicht falsch verstehen: Wenn Sie gut damit zurechtkommen, Mails im Bett zu bearbeiten oder für Ihre Videocalls gerne auf dem Balkon sitzen, dann ist auch das okay. Falls Sie aber Probleme bei der mentalen Trennung von Arbeit und Freizeit haben, hilft eine klare räumliche Abgrenzung.

Definieren Sie Arbeitszeiten und setzen Sie sich Tagesziele

Strukturieren Sie Ihren Tag! Die größere Flexibilität im Homeoffice wird zwar als einer der größten Pluspunkte von Remote Work wahrgenommen, ist aber gleichzeitig eine der größten Herausforderungen für das Selbstmanagement. Es hilft, wenn Sie sich am Morgen eine feste Uhrzeit setzen, an der Sie am Schreibtisch sitzen. Überlegen Sie in Abstimmung mit Ihrem Team, welche Kernarbeitszeiten Sie haben und wann Sie unbedingt erreichbar sein müssen. Und überlegen Sie bereits am Vortag, welche Tagesziele Sie sich setzen und welche Prioritäten die einzelnen To Dos haben. Achten Sie darauf, dass diese Ziele realistisch sind, planen Sie Pufferzeiten ein und visualisieren Sie die Aufgaben in der Reihenfolge der Dringlichkeit, beispielsweise mit Zetteln für jedes To Do an einem physischen Whiteboard oder in digitalen Tools wie Trello (falls Sie nicht sowieso mit Ihrem Team ein digitales Kollaborationstool nutzen, auf dem Sie Ihre Aufgaben verwalten). Bleiben Sie ausreichend flexibel für Änderungen und prüfen Sie am Ende des Tages, was Sie erreicht haben und wo Sie sich in der Planung verschätzt haben – so werden Sie jeden Tag besser in der Selbststeuerung, Sie wissen, welches Aufgabenpensum realistisch ist und wann Sie auch mal „nein“ sagen müssen.

By the way: Für eine individuell sinnvolle Planung und Einteilung ihres Arbeitstages benötigen Arbeitskräfte auch die nötige Freiheit und das Vertrauen der Führungskräfte! Dazu in einem späteren Artikel der Serie mehr.

Machen Sie bewusst Pausen – und gehen Sie auch mal raus

Viele Homeworker tendieren dazu, das Wäscheaufhängen oder das Schreiben der Einkaufsliste als „Pause“ zu sehen. Besser: Gönnen Sie sich in festen Abständen Ruheinseln und Auszeiten, wie Sie diese auch im Büro hätten – beispielsweise ein bewusstes Mittagessen am Küchentisch mit Ihrem Lieblingsbuch, eine virtueller Kaffeepause mit Kollegen oder ein Gespräch mit Nachbarn. Auch ein Spaziergang, eine Joggingrunde oder ein kurzes Workout machen den Kopf frei und sind echte Erholungspausen.

Etablieren Sie „Deep Work“ Phasen

Ein typisches Produktivitätsproblem im Homeoffice sind die vielen kleinen Ablenkungen, die zu sehr kleinteiligen Arbeitseinheiten führen können. Das können private Ablenkungen sein, aber auch das ständige „Plingen“ Ihrer Kollaborationssoftware oder zu eng getaktete Videocalls. Identifizieren Sie deshalb Ihre persönlichen Produktivitätskiller und organisieren Sie sich Timeboxes, in denen Sie 60 bis 90 Minuten fokussiert, ungestört und am Stück an Ihren Tageszielen arbeiten können. Versuchen Sie diese Phasen an Ihren Biorhythmus anzupassen und kommunizieren Sie die Zeiten auch an Familienmitglieder, Kollegen und Vorgesetzte.

Tipp: Was für viele Homeworker auch gut funktioniert, ist Silent Coworking: ein gemeinsamer Videocall (Kamera an!), aber jeder arbeitet still und konzentriert seine eigenen To Dos ab. Silent Coworking erzeugt eine büroähnliche Nähe und sowohl die konkrete Verabredung als auch die virtuelle “soziale Kontrolle” sind psychologische Trigger, in einen echten Arbeitsfluss zu kommen und sich nicht von Fake-Work-Tätigkeiten ablenken zu lassen. Durch einige Regeln und einen festen Rahmen kann die Effektivität von Silent Coworking weiter gesteigert werden – dazu demnächst in einem eigenen Blogartikel mehr.

Zelebrieren Sie einen „Remote Work Feierabend“

Viele Remote Worker finden kein Ende. In diesem Fall kann es helfen, kleine Feierabend-Rituale zu entwickeln. Gehen Sie kurz durch, was am nächsten Tag ansteht, räumen den Schreibtisch auf, fahren Ihr Notebook herunter und schalten das Smartphone aus (oder stellen es zumindest auf lautlos). Wünschen Sie Kollegen im Chat einen schönen Feierabend und nehmen Sie sich etwas vor, das Sie persönlich mit „Feierabend“ verbinden, beispielsweise ein Tischspiel mit den Kindern, eine Sporteinheit, eine Episode Ihres Lieblingspodcasts oder ein After-Work-Tee auf dem Sofa.

Und weiter geht es mit …

In den nächsten Teilen der Serie widmen wir uns den Erfolgsfaktoren Strukturen & Prozesse, Kommunikation, soziale Interaktion, Teambuilding, Vertrauenskultur und Remote Leadership. Für den Artikel „Teambuilding“ konnten wir übrigens Paul Stanzenberger von teamazing als Gastautor gewinnen – schauen Sie doch wieder vorbei oder tragen Sie sich für unseren Newsletter ein!

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Fasziniert von agilen Methoden begleitet Matthias Pauers Führungs­kräfte auf dem Weg zum „Agile Leader“ und unterstützt Organisationen beim Change Management. Seine Schwer­punkte sind Unternehmens­kultur und Führung, Coaching, Anforderungs­management und Design Thinking.

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