In unserer Blog-Serie „O-TON“ plaudern wir über unseren Job und unsere Leidenschaft für Organisationsentwicklung und Agilität – diesmal mit Ursula Niehaus, die unser Team seit April 2022 als Consultant und systemische Coach verstärkt.

1. Ursula, wie bist du mit dem Thema Organisationsentwicklung in Berührung gekommen?

Systeme haben mich schon immer fasziniert. Ich komme aus dem Gesundheitssektor und habe mich dort mit dem menschlichen Körper als System auseinandergesetzt, später dann im pädagogischen Bereich mit dem System Familie und auch mit dem sozialpolitischen System. Danach war ich im mittleren Management sozialer Organisationen in der Rolle der Führungskraft gefordert – das war meine Brücke zur Organisationsentwicklung und Personalentwicklung in der freien Wirtschaft. Für mich ist das ein unglaublich faszinierendes Thema: Wie schaffen es Organisationen, Potenziale zu entwickeln? Wie funktionieren Enablement und Empowerment? Wie müssen die Ebenen in der Organisation dafür aufgestellt sein? Und wie hängt alles miteinander zusammen?

2. Du bist Expertin für Organisationale Resilienz. Was begeistert dich an diesem recht jungen Ansatz der Organisationsentwicklung?

Den Begriff selbst finde ich ehrlich gesagt etwas sperrig, aber ich mag den ganzheitlichen Blick und den systemischen Ansatz, der dahintersteckt. „Organisationale Resilienz“ integriert alles, was zum Erfolg eines Unternehmens und der Menschen im Unternehmen führt. Gibt es eine Herausforderung – einen Angriff auf die Widerstandsfähigkeit des Systems – ist es ein resilientes Verhalten, wenn Menschen und Organisationen Antworten darauf finden. Je stärker und stabiler das System im Innen ist, desto besser funktioniert dieser Prozess. Genau deshalb ist Organisationale Resilienz aktueller denn je.

Für mich sehr zentral ist, dass Organisationale Resilienz das ganze Unternehmen und ganz besonders das Management und die Führung in die Verantwortung nimmt. Es reicht eben nicht, die Mitarbeitenden z. B. in einen Workshop “Individuelle Resilienz” zu schicken und zu sagen „so, jetzt habt ihr alles, um stressresilienter zu werden und weiter geht’s“. Das Thema Resilienz kann und darf nicht auf die Mitarbeitenden abgewälzt werden. Das Management muss sich aktiv für das Ziel einer resilienten Organisation entscheiden und auf allen Ebenen die nötigen Rahmenbedingungen dafür schaffen.

Ich mag außerdem den positiven Ansatz Organisationaler Resilienz – es geht darum, Möglichkeitsräume zu gestalten und Potenziale zu entfalten, Vertrauen aktiv aufzubauen und eine positive Führung zu etablieren, die Mitarbeitenden zu stärken, Strukturen effizienter zu gestalten, statt Defizite aufzuzeigen oder nur an Teillösungen zu arbeiten. Organisationale Resilienz ist für mich ein systemischer Ansatz der Kompetenzentwicklung, der die Wechselwirkungen betrachtet und alle Ebenen mit einbezieht.

3. Du hast auch ein Buch zu deinem systemischen Resilienzmodell geschrieben – was verstehst du darunter genau?

Resilienz kommt ja ursprünglich aus der Kindheitsforschung. Ich habe die Ergebnisse und Erkenntnisse, die es dazu gibt, auf Organisationen übertragen und in ein systemisches Modell gegossen. Kurz zusammengefasst gibt es aus meiner Sicht in jeder Organisation die vier Ebenen „Mitarbeitende“, „Führungskräfte“, „Werte“ und „Prozesse & Strukturen“ und für jede Ebene verschiedene Resilienzfaktoren, die dazu beitragen, dass die für diese Ebene nötigen Kompetenzen gestärkt werden. Je besser das gelingt, desto erfolgreicher wird die Organisation als Ganzes. Ich vergleiche Organisationale Resilienz deshalb gerne mit einem Vier-Rad-Antrieb. Und ganz wichtig: Das ist ein Wahrscheinlichkeitsprinzip. Man kann Resilienz nicht einkaufen, umsetzen und so Erfolg garantieren. Wir können nur die Resilienz als Kompetenzen ausbauen und damit die Wahrscheinlichkeit für den Aufbau von Resilienz erhöhen.

© Ursula Niehaus

Beginnen wir beim Mindset, also in der Ebene „Werte“: Jede Organisation hat ihren mentalen Denkkasten. Welche Kultur wird gelebt? Gibt es eine Lern- und Fehlerkultur? Gibt es eine Identität und kennt jeder das „Why“, also warum kommen wir jeden Tag zusammen? Was verbindet uns und woran wollen wir arbeiten? Die Ebene „Führungskräfte“ übernimmt hier eine zentrale Schlüsselrolle, z. B. mit einem transformationalen Führungsstil, mit Vertrauen und indem sie die Ebene der „Mitarbeitenden“ mit dem „Why“ in Verbindung bringt. Führungskräfte sind dafür verantwortlich, die Mitarbeitenden zu unterstützen, wie sie die Ziele der Organisation erfüllen können, welche Skills sie brauchen, aber auch, wie sie zufrieden und gesund bleiben. In der vierten Ebene „Prozesse & Strukturen“ geht es darum, welche Mechanismen es braucht, damit es zwischen den Ebenen „groovt“, dass Teams gut zusammenarbeiten. Wenn das alles funktioniert und die Energie fließt, dann ist ein Unternehmen resilient.

Mit Hilfe eines Resilienz-Checks können wir die vier Ebenen abklopfen und sondieren, wo es Blockaden gibt und gemeinsam mit dem Unternehmen überlegen, woran wir arbeiten könnten.

4. Gibt es einen speziellen Tipp, den du Unternehmen gibst, die ihre Organisationale Resilienz stärken möchten?

Resilienz braucht zuallererst einen Kulturwandel. Wir erleben gerade, dass Denkmuster wie „Schneller, höher, weiter“ ausgedient haben. Es funktioniert nicht mehr, Menschen in Richtung dieser Ziele zu treiben. Mitarbeitende sind ausgebrannt und die junge Generation zeigt deutlich, dass sie ausbrechen möchte aus diesem System, dass neue Antworten gesucht werden. Unternehmen benötigen Offenheit für diese Bedürfnisse und Themen. Im ersten Schritt ist also ein Blick auf die Kultur und ggf. ein Kulturwandel wichtig. Es lohnt sich zudem hinzuschauen: Wo ist aktuell der größte Schmerz und welche Ressourcen haben wir zur Verfügung, um Resilienz zu entwickeln?

5. Welche typischen Hürden hast du bei Transformationen kennengelernt?

Unklare Ziele, also wo geht die Reise hin? Halbherzigkeit und mangelnde Rückendeckung von „oben“. Transformationen, die in Silos umgesetzt werden, so dass der zündende Funke nicht auf die Organisation überspringen kann. Blockaden auf allen Ebenen, beispielsweise Menschen, die die Veränderungen nicht mitgehen wollen. Fehlende Gestaltung von Purpose, wenn die Frage „was bringt uns das“ nicht ausreichend geklärt oder kommuniziert ist. Auch fehlende Rahmenbedingungen. Ich spreche aber nicht so gerne von „Hürden“, sondern lieber aus der anderen Perspektive, also positiv formuliert von Resilienzfaktoren und Chancen für Weiterentwicklung.

6. Du hast selbst Führungserfahrung. Was sind deiner Meinung die wichtigsten Kompetenzen moderner Führung?

Alles, was den transformationalen und coachenden Führungsstil ausmacht: Ziele und Visionen klar kommunizieren, die Menschen mitnehmen, Vertrauen haben, vertrauensvolle Beziehungen aufbauen, Misstrauen und Kontrolle ablegen, Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit ermöglichen, positiv und wertschätzend kommunizieren und die Mitarbeitenden unterstützen. Nicht nur „Kommen Sie zu mir, wenn Sie mich brauchen“, sondern aktive, echte Unterstützung leben und die eigenen Mitarbeiter dabei ernst nehmen. Eine gute Führungskraft tut alles dafür, dass das Team die Aufgaben umsetzen kann. Manchmal trügt der Schein und es sieht so aus, als wäre die Führungskraft in ihrer Rolle der Führung unwichtig. Ich meine damit: Eine gute Führungskraft ist am ehesten eine Dienstleisterin für ihre Mitarbeitenden. Je unsichtbarer sie wird, umso selbständiger arbeitet das Team. Doch dafür braucht es viel Vorarbeit, Klarheit in den Zielen und Aufgaben, klare Kommunikation und Vertrauen und ganz besonders Zeit. Wenn eine Führungskraft 100 Mitarbeitende führt, ohne eine Ebene dazwischen zu haben, und vielleicht sogar selbst noch operativ mitarbeitet, ist deshalb keine echte Führung und Unterstützung mehr möglich. Da gibt es keine Verbindung mehr, keinen engen Kontakt, kein echtes Interesse für die Bedürfnisse und Sorgen der Mitarbeitenden.

7. Welche Rolle spielt Agilität für deine Arbeit?

Es kommt darauf an, wie man Agilität für sich definiert. Ich persönlich verankere den Begriff eher im Mindset, weniger in einer bestimmten Prozess-Methode. Wenn es zum Beispiel Mitarbeitende mit einem „Das haben wir schon immer so gemacht“-Mindset gibt, kann man so viel Scrum einführen wie man will, da wird keine große positive Veränderung passieren, oder? Agilität ist für mich Anpassungsfähigkeit und Offenheit, eine Haltung der iterativen Verbesserung. Agil zu arbeiten ist für mich an keine bestimmte Methode gebunden, sondern ich versuche immer an das Gute und Gelungene anzuknüpfen, auch kleine Erfolge in den Mittelpunkt zu stellen und gemeinsam zu überlegen: Wie können wir hier weitermachen, das größer machen? Beispielsweise setze ich auf Appreciative Inquiry (ja, das ist eine Methode) als Grundhaltung für Veränderungen. Auch das ist für mich ein agiler Weg.

8. Gibt es ein besonderes Erfolgserlebnis, an das du dich als Coach oder Consultant erinnerst?

Ja, als einer meiner Coachees aus dem Gesundheitssektor kurz vor dem Burnout stand. Er war nur noch im Reaktions-Modus bzw. in der Opfer-Rolle. Es war beeindruckend mitzuerleben, wie er durch das Coaching selbst Hebel gefunden hat, diese Hilflosigkeit zu überwinden und seine Situation im Ökosystem „Arbeitsstelle“ dann auch tatsächlich zu verbessern. Heute geht es ihm ausgezeichnet. So schnelle Hilfe geben zu können, freut mich immer ganz besonders.

9. Was sind deine Lieblingsorte im Netz, die dich beruflich inspirieren?

Ich nutze oft LinkedIn als Ausgangspunkt, um mich von Thema zu Thema zu bewegen. Ich höre gerne Podcasts und lese viel. Als Impulsquellen schätze ich diverse Institute und Autoren (Gerald Hüther, Peter Senge, Otto Scharmer, um nur einige zu nennen) und auch die Coaching-Akademie NLP Rhein-Neckar, wo ich meine Coachingausbildung gemacht habe. Ich bin außerdem mit Menschen in Coaching-Clubs im Austausch. Grundsätzlich bin ich ein neugieriger, wissbegieriger Mensch und ich liebe es, mich mit Netzwerk-Freunden und Freundinnen im Real Life auszutauschen.

10. Verrätst du uns zum Abschluss, was du in deiner Freizeit machst?

Ich komme aus der Fahrradstadt Münster und bin selbst begeisterte Schön-Wetter-Rennradfahrerin und immer häufiger auch etwas entschleunigt mit dem Pedelec unterwegs. Außerdem bin ich ein musikalischer Mensch. Ich habe früher Flöte und Saxophon gespielt, heute bin ich im Chor. Ich verbringe gerne Zeit mit der Familie und seit Neuestem sind wir „auf den Hund gekommen“ – ein Leben ohne unsere Nicki kann ich mir schon gar nicht mehr vorstellen. Sie ist fünf Monate alt und ein Cockerpoo. Sie bewegt sich nicht von unserer Seite und ist für uns eine liebevolle Bereicherung. Grundsätzlich ist sie sehr intelligent und einfühlsam und kann zu einem Therapiehund ausgebildet werden. Sie lernt schnell und ich persönlich lerne mich nochmal neu kennen. Bin ich hektisch, wird auch sie hektisch, bin ich entspannt, kann auch sie sich entspannen. Habe ich Vertrauen, kann sie sich entwickeln und sie fühlt sich geborgen. Ein Hund, der mir den Spiegel vorhält wie im Coaching. Auch ich habe durch sie schon viel gelernt: den Moment zu leben, zu lachen, Pausen einzubauen und einiges entspannter zu sehen. Wer hätte das gedacht, dass ich dir das einmal erzählen würde! Insgesamt lerne ich sehr gerne, momentan beschäftige ich mich mit Jin Shin Jyutsu (die Kunst der Selbstheilung durch Handauflegen) und schreibe an einem Buch zum Themenbereich “Leadership und Vertrauen”, parallel entsteht eine Biographie über ein Thema, was mir sehr am Herzen liegt: Trauer und Krisen überwinden mit spirituellen und mentalen Ansätzen. Bei mir wird es nie langweilig und jetzt freue ich mich auf den Spaziergang mit Nicki in der wärmenden Frühlingssonne.

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