“Es war einmal ein scheuer Fuchs, der in einer Gruppe von Schweigefüchsen lebte. Er war zufrieden, denn Harmonie wurde in seinem Wald großgeschrieben. Es gab keinen Streit und keine lauten Diskussionen, sondern alle lebten in friedlich-stiller Einvernehmlichkeit zusammen…”.
Klingt es nicht nach einem schönen Leben, das der kleine Fuchs in seinem Wald führt? Eigentlich könnte das Märchen hier bereits zu Ende sein: “… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.” Ja, wenn der schlaue Fuchs nicht anfangen würde, das Schweigen in manchen Situationen in Frage zu stellen! Ist es beispielsweise richtig, sich der Harmonie willen stillschweigend seinen Lieblingsschlafplatz wegnehmen zu lassen? Und wäre es nicht besser, den jungen Füchsen Wissen weiterzugeben, statt alle immer wieder die gleichen Fehler machen zu lassen? Der Fuchs ist hin- und hergerissen.
Vielleicht erkennen Sie Parallelen zu Ihrem Arbeitsalltag. Gehen Sie auch manchmal um des lieben Friedens willen einem Konflikt aus dem Weg? Nicken Sie, statt Ihre Meinung zu vertreten und ein Thema auszudiskutieren? Schweigen Sie hin und wieder, aus Bequemlichkeit, um Zeit zu sparen oder aus Harmoniebedürftigkeit? Keine Sorge, Sie sind garantiert nicht allein! Jeder kennt Situationen, in denen es einfacher oder angenehmer ist, sich den Schweigefüchsen anzuschließen. Das Problem: Der Nachahmungseffekt ist groß. Und je stärker die Gruppe der Schweigefüchse in einem Unternehmen wächst, desto instabiler wird das System – auch wenn es auf den ersten Blick noch so harmonisch wirkt.
Was ich mit den Schweigefuchs-Bildern vermitteln möchte: Mir fällt seit einiger Zeit auf, dass in vielen Unternehmen lieber geschwiegen als diskutiert wird. Das bereitet mir Unwohlsein. Denn gerade im eigenen Team, im täglichen Arbeitsumfeld, sollte es keine Angst vor Konflikten und kein “Blatt vor dem Mund” geben. So oft lesen wir in den Unternehmenswerten “Authentizität” und “Ehrlichkeit” – sollte dieser Wertekanon dann nicht auch gelebt werden? Nur ein intensiver Austausch bringt Teams und Produkte und Unternehmen voran. Innovation lebt von Diskussion und gerade in stressigen oder unklaren Situationen brauchen wir mehr Kommunikation und keine Schweigefüchse. Die wertschätzende Auseinandersetzung mit verschiedenen Ideen und Meinungen sollte deshalb gefordert und gefördert werden. Denn haben Mitarbeitende ersteinmal die – zugegebenermaßen bequeme – Rolle des Schweigefuchses angenommen, werden Stunden abgesessen, die Motivation nimmt ab und die Innovationskraft sinkt.
Ich werbe deshalb für einen “Mutausbruch” in Unternehmen, für Ehrlichkeit und den anhaltenden Willen, etwas zu bewegen. Auch wenn es dazu Diskussionen braucht und auch, wenn es mal etwas hitziger wird. Ich will keine Harmonie oder Ruhe um jeden Preis, sondern ich wünsche mir echtes Vertrauen zwischen Kolleg:innen und zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften, damit es zur rechten Zeit auch mal knallen darf. Ohne dass der Teamgeist Schaden nimmt.
Die Schweigefuchs-Kultur hat sehr viel mit Glaubenssätzen im Unternehmen zu tun. Und für beide Seiten gibt es Argumente – ich habe in den letzten Tagen einige davon gesammelt, vielleicht finden Sie sich ja wieder:
Was Schweigefüchse denken:
Argumente für den Mutausbruch:
Der Weg zu einer solchen offenen Kommunikationskultur ist sicher nicht einfach. Es braucht Zeit, bis alte Glaubenssätze vom Tisch sind, bis geschriebene Werte im Alltag ankommen, bis der letzte Harmonie-Schweiger Mut fasst. Um in der Welt des Schweigefuchses zu bleiben: Es muss lange regnen, bis ein ausgetrockneter Waldboden wirklich gesättigt ist und auch alle Wurzeln in der Tiefe erreicht werden. Deshalb gibt es nicht den einen Workshop oder das eine Change-Projekt, sondern nur nachhaltig angelegte Organisationsentwicklung kann Werte wie “ehrliche Kommunikation” oder “Vertrauen” lebendig machen und fest verankern.
Wenn wir eine Kommunikations- und Konfliktkultur möchten, die nicht nur im Märchenbuch steht, sondern in unserer Arbeitswelt gelebt wird, dann müssen Unternehmen etwas dafür tun. Es ist Aufgabe der Unternehmensführung, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, beispielsweise durch Teamentwicklungsmaßnahmen oder auch durch Mediationsangebote (ja, Mediation wird nicht nur bei lautstark ausgetragenen Konflikten eingesetzt, sondern kann auch Schweigefüchsen helfen!)
Statt “Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute” zum Abschluss nun die Frage an Sie: Sind Sie selbst ein Schweigefuchs oder haben Sie vielleicht einen in Ihrem Umfeld entdeckt? Und welche Mutausbruchs-Argumente fehlen noch auf unserer Liste?