Sie sind Führungskraft und wollen Ihre Mitarbeiter für Agilität begeistern? Oder stecken Sie schon mittendrin in der agilen Transformation und fühlen sich wie Don Quijote beim Kampf gegen die Windmühlen? Wie viel Veränderung verträgt und erträgt ein Unternehmen – und wie schnell kriegen Sie Change nachhaltig in die Köpfe Ihres Teams? In diesem Zusammenhang taucht immer wieder der Begriff der Unternehmenskultur auf: Für die einen ein wesentlicher Erfolgsfaktor im Change Management, für die anderen nur unkonkretes Geschwätz. Gleichermaßen belächelt und beschworen polarisiert diese unsichtbare Macht wie kaum ein anderes Thema bei der Einführung agiler Methoden.

Geben Sie sich mit niedrig hängenden Früchten zufrieden?

Die These: Werte, Verhalten und Engagement – und damit letztendlich der Unternehmenserfolg – sind untrennbar miteinander verbunden. Der amerikanische Management-Guru Peter Drucker formulierte es pointiert: „Culture eats strategy for breakfast.“ Kein Wunder also, dass manche agile Transformation scheitert und viele wirklich gute Ideen und Strategien verpuffen. Denn nur auf den Zug aufzuspringen, weil agile Methoden gerade „en vogue“ sind oder weil Scrum oder Kanban bei einem Wettbewerber wunderbar funktionieren, führt nicht zwangsläufig zum Erfolg.

Agilität ist keine „Methode“, sondern eine Kultur, die den Wertekodex für die Zusammenarbeit definiert. Und Frameworks wie Scrum sind lediglich Werkzeuge, die agile Teams durch geeignete Prozesse, Rollen und Artefakte unterstützen. Fehlt die entsprechende Kultur im Hintergrund oder wird Agilität vom Management nur halbherzig vorgelebt, entfalten auch die großartigsten agilen Praktiken nicht ihr volles Potenzial. Die Folge: Sie ernten lediglich die niedrig hängenden Früchte.

Wer voll von den Vorteilen der Agilität profitieren will, wer exzellent statt nur gut sein will, wer nicht nur agil arbeiten, sondern agil sein will, der muss zu einem echten Kulturwandel im Unternehmen bereit sein.

Was ist Unternehmenskultur überhaupt?

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts waren Human Relations in Unternehmen ein Thema. Es wurden Programme entworfen, die regelmäßige Treffen der Belegschaft, gesellige Abendveranstaltungen oder Wochenendmeetings vorsahen. Manager wurden angehalten, ein „gutes Betriebsklima“ zu fördern und zu pflegen.

In den 70er und 80er Jahren richtete sich der Blick nach Japan, wo Firmen mit neuen Produktions- und Managementmethoden Produktivitätsrekorde aufstellten. Westliche Manager rieben sich die Augen, Unternehmensberater begannen sich zunehmend mit den weichen Faktoren des wirtschaftlichen Erfolgs zu beschäftigen und entwickelten Modelle zur Unternehmensgestaltung – wie beispielsweise das 7-S-Modell von McKinsey.

Mittlerweile setzen sich zahlreiche Wissenschaftler mit Organisationskultur auseinander. Firmen möchten – und müssen – verstehen, was ihre Mitarbeiter wirklich antreibt. Erfolgsbeispiele aus der Wirtschaft und renommierte Studien belegen: Es ist die Unternehmenskultur, die die gewünschten Dreamteams formt.

Aber was steckt hinter dem Begriff? In der Literatur gibt es unterschiedliche Erklärungsversuche. Fast lapidar wirkt die Definition von William E. Schneider:

„How we do things around here in order to succeed.“

Ist es wirklich so einfach? Im Grunde ja. Denn in jedem Unternehmen bildet sich im Lauf der Zeit eine eigene Kultur heraus, die bestimmt „wie das hier gemacht wird“. Nach McLean und Marshall ist diese Kultur eine „Sammlung von Traditionen, Werten, Regeln, Glaubenssätzen und Haltungen, die einen durchgehenden Kontext für alles bilden, was wir in dieser Organisation tun und denken.“

Im Grunde umschreiben alle Definitionen mehr oder weniger dasselbe: Unternehmenskultur ist ein Set an bewährten Handlungsmustern und inneren Überzeugungen, die in einer Organisation als bindend akzeptiert werden. Der größte Teil verbirgt sich unter der Oberfläche und ist weit mehr als das nach außen kommunizierte Leitbild des Marketing – vergleichbar mit einem Eisberg, von dem nur die Spitze aus dem Wasser ragt.

Deshalb ist es auch so schwierig, die oft bewunderten innovativen Vorbilder aus dem Silicon Valley kopieren zu wollen: Es ist nicht damit getan, die sichtbaren Faktoren zu imitieren, also beispielsweise die Anzugspflicht abzuschaffen und interdisziplinäre Teams in Großraumbüros zu platzieren, wenn gleichzeitig weiter hierarchische Denkmuster à la „command and order“ vorherrschen.

Herb Kelleher, Ex-CEO der Southwest Airlines, ist sich sicher:

„Given enough time and money, your competitors can duplicate almost everything you’ve got working for you. They can hire away some of your best people. They can reverse-engineer your processes. The only thing they can’t duplicate is your culture.“

Die bestehende Unternehmenskultur wird über Erfolg oder Misserfolg jeder neuen Maßnahme entscheiden. Sie erinnern sich: Culture eats strategy for breakfast…

Und welche Kernkultur haben Sie?

Der erste Schritt auf dem Weg zur Agilität ist deshalb, die eigene Unternehmenskultur ehrlich zu erforschen. Denn wer etwas verändern will, muss den Status Quo kennen.

Einer der populärsten Ansätze ist William Schneiders „Core Culture Model“, das Unternehmen in vier Kulturformen klassifiziert:

•    Anweisungskultur (Control Culture)
•    Zusammenarbeitskultur (Collaboration Culture)
•    Vervollkommnungskultur (Cultivation Culture)
•    Kompetenzkultur (Competence Culture)

Anweisungskultur „getting and keeping control“
Autoritärer Führungsstil, Hierarchiedenken, Kontrolle, Bürokratie, systematische Leistungsmessung, Mitarbeiter sind Spezialisten, Anreize durch Belohnung und Sanktionierung…

Zusammenarbeitskultur „working together“
Team, Kooperation, Partnerschaft, flache Hierarchien, Vertrauen, Pragmatismus, Mitarbeiter sind Generalisten, Eigeninitiative…

Kompetenzkultur „being the best“
Expertise & Exzellenz, zielorientiertes Arbeiten, Leistungsmessung ist wichtig, ebenso individuelle Belohnung, große Freiräume…

Vervollkommnungskultur „learning and growing with a sense of purpose“
Weiterentwicklung und Ausschöpfen des Potentials, Vertrauen, Sinnfrage, Experimentieren & Erfinden, Veränderung, Kollegialität, Kommunikation…

Jede dieser vier Kernkulturen hat einen eigenen Umgang mit Führung, Autorität, Innovation und Leistung, und jede der vier Kulturen muss andere Herausforderungen meistern, um agil zu werden. Selbstverständlich gibt es Mischformen, doch in jedem Unternehmen herrscht lt. Schneider eine dieser Kernkulturen vor. In seinem Buch “The Reengineering Alternative” finden Sie bei Interesse einen Fragebogen, der bei der Analyse Ihres Unternehmenstyps hilft (hier auch kostenlos zum Download).

Lässt sich Unternehmenskultur managen?

Soweit die Theorie. Doch was bedeutet es für Sie, wenn Sie nun beispielsweise wissen, dass Sie (noch) eine Anweisungskultur leben – übrigens nach wie vor die klassische Unternehmenskultur in Europa? Sollten Sie dann das mit der Agilität am besten gleich wieder vergessen?

Nein, auf keinen Fall! Aber Sie sollten sich bewusst sein, dass Sie nicht einfach eine neue Unternehmenskultur Ihrer Wahl „einführen“ können. Die Weiterentwicklung Ihrer Organisation erfordert die Zustimmung von Team und Management und wird Energie, Geld, und ja, auch jede Menge Nerven und Zeit kosten. Wir sprechen hier von Monaten, bei großen Organisationen durchaus auch von Jahren. Veränderung ist ein dickes Brett, das erst gebohrt werden muss…

ABER: Es lohnt sich. Nach und nach werden die neuen Abläufe und Spielregeln auch die Werte und die innere Haltung Ihrer Mitarbeiter beeinflussen – der erste Schritt zu einer nachhaltigen Kursänderung. Und Sie werden sehen, es wird Ihnen (und Ihren Mitarbeitern) jede Menge Spaß machen.

Fakt ist: Wenn Sie Ihre Prozesse agiler gestalten möchten, führt kein Weg daran vorbei, auch das Thema Unternehmenskultur anzupacken. Und was wenn nicht? Dann wird sich Ihre schöne neue Strategie die Zähne an Ihrer Unternehmenskultur ausbeißen…

„If you do not manage culture, it manages you, and you may not even be aware of the extent to which this is happening.” (Edgar Schein)


Ausblick

In Teil 2 unserer Serie „Unternehmenskultur“ werden wir die agile Transition auf dem Weg in die Praxis begleiten:

– Kann man Agilität lernen?
Wie lange dauert das?
– Welche agile Methoden eignen sich für welche Kernkulturen?
– Was sind typische Stolpersteine?
– Warum macht externe Hilfe Sinn?

Egal, ob Sie externes Feedback zu Ihrer Unternehmenskultur wünschen oder einen Begleiter bei der agilen Transformation suchen: Wir unterstützen Sie gerne.

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Fasziniert von agilen Methoden begleitet Matthias Pauers Führungs­kräfte auf dem Weg zum „Agile Leader“ und unterstützt Organisationen beim Change Management. Seine Schwer­punkte sind Unternehmens­kultur und Führung, Coaching, Anforderungs­management und Design Thinking.

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