„Hausfrauensammelbecken – so nennen viele Personalmanager eine Abteilung, in der mehrere weibliche Teilzeitkräfte arbeiten“, war im April 2016 im Karriereteil der ZEIT zu lesen. Hat sich in den letzten vier Jahren viel geändert? Ich glaube nicht. Erst kürzlich sprach sich der Personalverantwortliche eines agil arbeitenden Unternehmens in einem Interview strikt gegen Teilzeitkräfte aus. Gleichzeitig lesen wir Artikel über radikale Veränderungen der Arbeitswelt, über New Work und die Wünsche der Generation Z, über Work-Life-Balance, den War for Talents und die 4-Tage-Woche. Denn ganz unabhängig vom Geschlecht steigt der Wunsch, im Beruf kürzer treten zu können, ohne Karriere-Einbußen hinnehmen zu müssen. Und: Über 40 Prozent aller Unternehmen klagen über einen Mangel an Talenten auf dem Arbeitsmarkt.

Aber wo treffen sich hier Theorie und Praxis, Wunsch und Wirklichkeit? Funktioniert es wirklich, in Teilzeit verantwortungsvolle Positionen zu besetzen? Ist Teilzeit nicht gerade in agil arbeitenden Unternehmen besonders schwierig, da Agilität die Präsenz aller Teammitglieder voraussetzt? Fragen, die ich schon oft mit Corina diskutiert habe. Corina betreut bei unserem Kunden GK Software als Scrum Masterin mehrere Scrum Teams und wir haben gemeinsam einige Argumente gesammelt, warum Teilzeitkräfte ein wichtiger Teil moderner Recruitingstrategien sind – und warum Unternehmen von Müttern in agilen Teams profitieren.

 

Der Teilzeit-Trend

Auch wenn nach wie vor die klassische Vollzeitbeschäftigung das häufigste Arbeitsmodell ist, kommt Bewegung in die HR-Abteilungen. Es gibt immer mehr Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Arbeitszeit reduzieren möchten, beispielsweise zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zur Pflege von Angehörigen, für eine Weiterbildung oder eine nebenberufliche Selbstständigkeit, für ein zeitintensives Hobby oder ein Ehrenamt.

Es entstehen immer mehr unterschiedlichste Arbeitsmodelle, die sich an den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren. So stieg der Anteil der Teilzeitbeschäftigten von 15 Prozent Mitte der 1990er Jahre auf 23 Prozent im Jahr 2017.

Noch ist Teilzeit rollenbedingt ein überwiegend weibliches Arbeitsmodell. Die Männerquote steigt zwar ebenfalls, allerdings sehr langsam – und das wird sich auch nicht ändern, solange Teilzeit mit dem Risiko eines Karriereknicks einhergeht. Dass es auch anders geht, zeigen Pioniere wie SAP: Beim Software-Riesen werden seit rund 2 Jahren Führungspositionen grundsätzlich als Teilzeit-Stellen ausgeschrieben. Und das zeigt Wirkung: 43 Prozent aller Führungskräfte, die bei SAP in Teilzeit arbeiten, sind inzwischen Männer.

“Teilzeit ist kein genderspezifisches Thema, sondern ein Zeitgeist-Phänomen, das unabhängig von Alter und Geschlecht eine immer wesentlichere Rolle einnimmt.” SAP-Personalchef Cawa Younosi

 

Vorurteile gegen Teilzeitkräfte

Warum lehnen dann aber nach wie vor so viele Personalverantwortliche flexible und kreative Teilzeitmodelle konsequent ab? Gängige Gegenargumente sind beispielsweise:

  • “Das Arbeitspensum kann mit Teilzeitkräften einfach nicht bewältigt werden.”
  • “Jobsharing? Das ist doch viel zu kompliziert mit den Übergaben und Absprachen.”
  • “Uns entsteht zusätzlicher Aufwand bei der Lohnbuchhaltung und den Arbeitsplatzkosten und damit erhöhen sich unsere Personalkosten.”
  • “15 Stunden, 4-Tage-Woche oder Homeoffice? Nein, wenn dann machen wir das klassische Teilzeitmodell mit 20 oder 30 Stunden verteilt auf 5 Tage, mit festen Anwesenheitszeiten. Alles andere lässt sich schlecht organisieren.”

 

Mütter-Teilzeit = Talent-Management!

Ich sehe das Potenzial von Teilzeit für Arbeitgeber differenzierter und vor allem sehr viel positiver. (Im Folgenden spreche ich über Mütter – die Argumente gelten selbstverständlich gleichermaßen für Väter, die aufgrund der Kinderbetreuung in Teilzeit arbeiten!)

Immer mehr Frauen sind hoch qualifiziert. In Zeiten des Fachkräftemangels tun Unternehmen deshalb gut daran, sich das Wissen ihrer Mitarbeiterinnen auch dann zu sichern, wenn sie in anderen Lebensabschnitten (vielleicht nur vorübergehend) Teilzeit arbeiten möchten. Wenn wir Artikel darüber lesen, dass Unternehmen ihre Arbeitszeitmodelle zeitgemäßer gestalten müssen, dann wird meist mit den Bedürfnissen und Wünschen der High Potentials in Generation Z argumentiert. Das ist richtig und wichtig. Aber der Blick auf junge Berufseinsteiger greift nicht weit genug, denn es gibt auch High Potentials anderer Altersgruppen, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Arbeitszeit reduzieren möchten.

Weniger Zeit bedeutet nicht weniger Können! Wie bereits erwähnt sind in Deutschland (noch) primär Frauen davon betroffen, wenn Teilzeit nicht angeboten wird oder zur Karrierebremse wird. Frauen, die häufig studiert haben, jede Menge Berufserfahrung mitbringen. Frauen, die teure Fortbildungen besuchen durften und vielleicht auch Teams geführt haben. Frauen, die nach wie vor Bock haben, Verantwortung zu übernehmen, Neues zu lernen und spannende Projekte mitzugestalten.

Es ist ein paradoxer Luxus, dieses Potenzial brachliegen zu lassen, nur weil Frauen vor die Wahl gestellt werden “Vollzeit oder gar nicht”. Und es ist auch Luxus, Frauen nicht entsprechend ihrer Qualifikation einzusetzen. Wenn das Teilzeitangebot eine Degradierung bedeutet, stehen höher qualifizierte Frauen vor dem Dilemma, Assistenzjobs oder Tätigkeiten auf Werkstudenten-Niveau übernehmen zu müssen, um Beruf und Familie vereinbaren zu können. Wir sind überzeugt: Teilhabe an “guter” und der eigenen Berufserfahrung angemessenen Arbeit ist Voraussetzung für Motivation.

Intelligente Teilzeitmodelle schaffen deshalb Vorteile für Arbeitnehmer UND Arbeitgeber. Dafür braucht es flexible Modelle, die auch über den Tellerrand konventioneller 20-/30-Stunden-Teilzeitangebote hinausgehen. Es braucht eine Unternehmenskultur, in der Leistung und nicht Anwesenheit zählt. Es braucht Vertrauen, dass Arbeit unabhängig von Ort und Zeit zuverlässig erbracht wird – Stichwort Remote Working. Wenn beispielsweise ein Kind krank wird, ist es wichtig, dank flexibler Arbeitsmöglichkeiten eben NICHT auszufallen, sondern den Arbeitsort spontan in das Homeoffice verlegen zu dürfen.

Eine Reduzierung der Arbeitszeit reduziert nicht gleichzeitig die Fähigkeiten und das Engagement. Es geht lediglich um die Herausforderung, die zur Verfügung stehende Zeit optimal einzusetzen, so dass beide Seiten profitieren.

 

Teilzeit: Karrierekick statt Karriereknick

Mitarbeiter, die sich so wertgeschätzt fühlen, sind hoch motiviert und loyal und wollen “liefern”. Wer mit Freude arbeitet und in seinem Job zufrieden ist, ist Studien zufolge kreativer und produktiver, seltener krank und auch das Risiko eines Burnouts wird reduziert.

„Smarte Arbeitnehmer arbeiten weniger, dafür konzentrierter und selektiver.“ Morten Hansen, Professor an der UC Berkeley, Autor des Buchs „Great at work“

Teilzeitkräfte bringen ebenso wie Vollzeitkräfte Ideen, Impulse und Ressourcen in das Team ein. Es ist deshalb wichtig, dass Personalentwickler gezielt auch die Gruppe der Teilzeitkräfte bei der Talentförderung und Weiterbildung einzubeziehen, dass innovative Modelle wie “Führungskräfte-Tandems” möglich gemacht werden und sich so nach und nach firmeninterne Vorbilder etablieren. Funktionierende Jobsharing-Beispiele gibt es bereits bei Konzernen wie der Telekom und Daimler, aber auch bei mittelständischen Unternehmen wie der Kartenmacherei.

 

Teilzeit & Agilität – ein Widerspruch in sich?

“Interessante Beispiele – aber wir arbeiten agil, da funktioniert Teilzeit sowieso nicht”, winken jetzt vielleicht manche Unternehmen ab. Streng nach Lehrbuch basieren agile Arbeitsmodelle auf Teams, die eng zusammenarbeiten, im gleichen Büro sitzen und an fest definierten Präsenzmeetings teilnehmen. Ja, das mag die Idealsituation sein. Aber wenn Unternehmen händeringend Fachkräfte suchen, braucht auch die agile Praxis pragmatische Lösungen, die die Arbeitsrealität berücksichtigen und dabei den Kern von Agilität wahren.

“Agilität ist die Gewandtheit, Wendigkeit oder Beweglichkeit von Organisationen und Personen bzw. in Strukturen und Prozessen. Man reagiert flexibel auf unvorhergesehene Ereignisse und neue Anforderungen. Man ist, etwa in Bezug auf Veränderungen, nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv.” (Definition Gabler Wirtschaftslexikon)

Es liegt also im Wesen von Agilität, sich flexibel an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Ein zentrales Element ist das permanente Lernen und das Suchen nach Möglichkeiten der Verbesserung. Lösen wir uns also von starren Vorstellungen, wie agile Teams organisiert sein müssen und orientieren wir uns lieber am agilen Prinzip “Inspect & Adapt”! Es gibt jede Menge Möglichkeiten, wie sich Teilzeitkräfte smart und effizient in agile Teams integrieren lassen – auch in führenden Positionen. Nur Mut, probieren Sie es aus!

Ein konkretes Beispiel möchte ich Ihnen vorstellen, und zwar die bereits erwähnte Scrum Masterin Corina bei unserem Kunden GK Software.

 

Scrum Masterin in Teilzeit: Ein Erfahrungsbericht

Hallo, ich bin Corina, 32 Jahre jung und Mutter zweier wundervoller Jungs. Ich war gerade mit dem zweiten Kind schwanger, als in unserem Unternehmen Scrum eingeführt wurde. Unser externer Coach Matthias Pauers stellte im Team-Workshop die Aufgaben des künftigen Scrum Masters vor und mir war damals schnell klar “Das ist meine Rolle!”

Obwohl ich nach der zweiten Elternzeit von einer 35-Stunden-Woche auf eine 30-Stunden-Woche reduzieren wollte, war das für meinen Arbeitgeber kein Hindernis, mir die Scrum-Master-Position anzubieten. Ganz im Gegenteil. Man kannte meine ausgeprägte Motivation und zweifelte auch nicht daran, dass ich die Tätigkeit mit 2 Kindern gut ausfüllen konnte. Vergleicht man die Rolle des Scrum Masters mit der Rolle einer Mutter, gibt es auch einige Parallelen – aber dazu später im Artikel mehr.

Teilzeit ermöglicht mir ein gesundes Gleichgewicht zwischen Job und Familie, ganz ohne schlechtes Gewissen. Sollte eine Retrospektive doch mal länger dauern als geplant oder wenn wir spontan ein Teammeeting am späten Nachmittag ansetzen, kann ich auf Großeltern zurückgreifen – ganz grundsätzlich hilft Müttern ein gut funktionierendes Netzwerk für den manchmal benötigten “Plan B” sehr weiter.

Dennoch steckt hinter meinem Teilzeitjob ein exakt durchgeplanter Tagesablauf, den ich meist schon am Wochenende ausarbeite. Das hilft mir, meinen Alltag organisiert und effizient zu meistern. In der Arbeit gebe ich 6 Stunden 100% – zu Hause auch. Super ist es, dass ich freitags im Homeoffice arbeiten kann. So arbeite ich am letzten Wochentag meistens nur bis Mittag und kümmere mich danach um alles, was für unser “Familienunternehmen” zu tun ist. Für diese flexiblen Möglichkeiten bin ich sehr dankbar. Diese Dankbarkeit verbindet mich mit meinem Arbeitgeber und macht mich zu einem loyalen Mitarbeiter.

Ich interessiere mich außerdem für Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen, um in meinem Job noch besser zu werden und für mein Unternehmen und mein Team von größtmöglichem Nutzen zu sein. Mir ist es auch wichtig zu zeigen, dass ich trotz Teilzeit und Muttersein meine Karriere im Auge behalte.

Kurz zusammengefasst habe ich zwar meine Arbeitszeit reduziert, meine Motivation und meine Effektivität haben sich damit aber erhöht.

 

Was Mütter zu perfekten Scrum Mastern macht

Vorab: Wir wollen mit folgender Liste keine Gender-Diskussion befeuern. Selbstverständlich sind auch Väter empathisch und organisationsstark ;-) Die Liste könnte deshalb auch unter der Überschrift stehen “Was Eltern zu perfekten Scrum Mastern macht”. Da aber nach wie vor primär Mütter Schwierigkeiten haben, in Teilzeit Teamverantwortung übertragen zu bekommen, haben wir die Argumente und Parallelen ganz bewusst etwas spitzer formuliert.

Mütter haben eine Vision und verfolgen diese konsequent

“Eine glückliche Kindheit” oder  “Ein zufriedenes Team” – so sehr unterscheiden sich die Visionen gar nicht. Und weder Mütter noch Scrum Master wissen zu Beginn des “Projekts”, was genau auf sie zukommt und vor welchen Herausforderungen sie stehen werden. Beide Visionen benötigen deshalb eine positive Grundhaltung, Mut, Durchhaltevermögen und Leidenschaft bei der Umsetzung.

Mütter sind Optimierungsexpertinnen

Kindererziehung ist ein großer “kontinuierlicher Verbesserungsprozess” (KVP). Mütter arbeiten intuitiv nach dem Prinzip Trial & Error. Manchmal bewusst, manchmal ungewollt werden in Familien verrückte Ideen ausprobiert und Dinge gehen schief. Scheitern gehört dazu – und Mütter sind versiert darin, Lernprozesse zu begleiten, beim Sprechenlernen und beim Basteln, beim Sport und in der Schule. Das Ziel ist, aus Misserfolgen zu lernen.

Mütter sind Kümmerer und Motivatoren

Kernkompetenz zum Elternsein ist Empathie – ebenso wie für die Scrum-Master-Rolle. Müttern ist es ein Grundbedürfnis, dass es ihren Kindern gut geht. Sie sind Ansprechpartner, Vertraute und Beschützer. Dafür räumen sie – wo sinnvoll – Hindernisse aus dem Weg, aber idealerweise ohne zu helicoptern. Mütter sehen ihre Rolle nicht darin, die besten Freunde ihrer Kinder zu sein und sind deshalb auch nicht zwingend immer derselben Meinung. Sie hören aktiv zu, geben aber nicht nur Anweisungen, sondern passend zum jeweiligen Alter Impulse, wie das Problem selbst gelöst werden kann. Mütter begegnen ihren Kindern mit Respekt und loben viel – aber aufrichtig und offen. Und Mütter sind gut darin, herauszufinden, wo die Stärken ihrer Kinder liegen und diese zu betonen und zu fördern.

Mütter sind agile Organisationstalente

Kind krank? Kühlschrank leer? Zusätzliches Fußballtraining? Mütter haben Übung, den Tagesablauf flexibel umzustrukturieren und die Planung an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Dabei priorisieren sie auch eigene Ansprüche um und setzen ihre Netzwerke ein, um möglichst allen “Stakeholdern” gerecht zu werden. Damit der Alltag möglichst reibungslos funktioniert, achten Mütter darauf, Anforderungen und “Akzeptanzkriterien” möglichst genau zu definieren. Auch Rituale – vergleichbar mit Scrum Meetings – sind fester Bestandteil des Mütter-Tool-Sets, um bestmögliche Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit zu vermitteln.

 

Fazit

Wir sind im Jahr 2020 angekommen. Sie wünschen sich von Ihren Mitarbeitern Flexibilität, Engagement, Kreativität und Vorwärtsdenken? Genau das wünschen sich Ihre Arbeitnehmer auch von Ihnen. Teilzeitkräfte – und auch Mütter – sind vielleicht genau die qualifizierten Fachkräfte, die Ihnen gerade so dringend fehlen. Teilzeitarbeiter und Remote Worker sind nicht besser als der Vollzeitarbeiter im Büro. Aber eben auch nicht schlechter. Natürlich braucht es ein gewisses Umdenken, einen initialen Organisationsaufwand und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren – aber Sie positionieren sich als attraktiver Arbeitgeber und erschließen sich attraktive Potenziale im War for Talents.

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Caroline Krause war als FeelGood-Managerin bei Teamprove tätig.

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