Für unseren September-Scrumtisch hatten wir als Schwerpunktthema Selbstorganisation gewählt – und damit eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Vor allem die Frage „Was bringt’s?“ hat uns gezeigt, dass bei der Nutzenargumentation häufig übersehen wird, dass die Vorteile von Selbstorganisation nicht für alle Beteiligten dieselben sind.

Wenn wir als Consultants oder Coaches in Unternehmen gehen, um Teams bei der Selbstorganisation zu unterstützen, dreht sich anfangs alles um die typischen Kernfragen:

  • Welche Rahmenbedingungen braucht Selbstorganisation?
  • Welche Einstellung müssen die Beteiligten mitbringen?
  • Wie ändert sich unsere Zusammenarbeit konkret?

Auch während unseres Scrumtischs fielen zu Beginn die üblichen Schlagworte wie „Führung“, „Vorleben“, „Ausdauer“, „Frusttoleranz“, „Pflichtbewusstsein“, „Kommunikation“, „Verantwortung“ usw. Je tiefer wir jedoch in die Diskussion eingestiegen sind, desto deutlicher wurde, dass wir immer wieder auf einen zentralen Punkt zurückkommen: Selbstorganisation kann nur funktionieren, wenn ganz klar ist, wo der Nutzen für jeden einzelnen Beteiligten liegt. Denn nur dann wird auch jeder einzelne die „Extrameile“ in Kauf nehmen, die der Prozess hin zur Selbstorganisation nötig macht.

Klingt eigentlich selbstverständlich – aber schon in unserer kleinen Runde hat sich schnell herauskristallisiert, dass genau hier in vielen Transformationsprojekten die Schwachstelle liegt. Denn die Vorteile von Selbstorganisation lassen sich nicht über einen Kamm scheren: Je nach Mentalität oder Position der jeweiligen Person ist die Wahrnehmung von Selbstorganisation situativ sehr unterschiedlich.

  • Team-Mitglieder, die das agile Mindset bereits verinnerlicht haben, sehen vermutlich die hinzugewonnene Freiheit als Vorteil. Andere Mitarbeiter sind hingegen lieber „Team-Supporter“ und haben Angst vor dem Plus an Freiheit und Verantwortung – hier ist es die Aufgabe des Scrum Masters, ganz individuell den Nutzen für jedes Teammitglied herauszuarbeiten.
  • Geschäftsführer haben per se eine andere Perspektive auf Selbstorganisation – diese Gruppe erreicht durch Selbstorganisation nicht mehr Freiheit oder mehr Verantwortung, sprich der Nutzen muss hier ein anderer sein, beispielsweise mehr Kreativität, mehr Effizienz oder eine höhere Attraktivität als Arbeitgeber.
  • Das mittlere Management tut sich erfahrungsgemäß mit der Nutzenargumentation am schwersten. Schließlich gehen Statussymbole und Macht verloren und viele befürchten, dass durch Selbstorganisation ihre Position obsolet wird. Als externe Coaches arbeiten wir deshalb auch mit der mittleren Führungsebene sehr intensiv daran, individuelle oder situative Vorteile konkret zu benennen, beispielsweise mehr Zeit für strategische Aufgaben oder Freiraum für Innovationen.

Macht man sich diese unterschiedlichen Erwartungen bewusst, wird auch klar, warum es bei der Einführung selbstorganisierter Teams „knirscht“.

Wenn das Projekt Selbstorganisation nicht scheitern soll, müssen die Beteiligten im ersten Schritt für sich selbst definieren, was sie durch Selbstorganisation gewinnen. Im zweiten Schritt ist es wichtig, dass auch die Sichtweisen aller anderen Beteiligten transparent gemacht werden und so nach und nach ein gemeinsames Verständnis von Selbstorganisation entsteht.

Wir hoffen, dass wir durch unsere Scrumtisch-Diskussion diesen Gedanken in die Unternehmen der Teilnehmer tragen konnten. Schauen Sie doch auch mal vorbei – wir treffen uns immer am letzten Freitag im Monat im virtuellen Meeting-Room und sprechen über wechselnde Themen, die Scrum Master und agile Teams beschäftigen. Eine Termin- und Themenvorschau finden Sie auf unserer Scrumtisch-Seite. Wir nehmen Sie gerne in den Einladungsverteiler auf !

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Fasziniert von agilen Methoden begleitet Matthias Pauers Führungs­kräfte auf dem Weg zum „Agile Leader“ und unterstützt Organisationen beim Change Management. Seine Schwer­punkte sind Unternehmens­kultur und Führung, Coaching, Anforderungs­management und Design Thinking.

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