Wieder wird über das Abitur diskutiert. Genauer: über die vielen Einser-Abiturient:innen. In Bayern, wo die Prüfungen bekanntlich als besonders anspruchsvoll gelten, zeigt sich seit Jahren ein Trend: Immer mehr junge Menschen erreichen Spitzenleistungen – und genau das wird ihnen nun vorgeworfen.

So stieg in Bayern der Anteil der Absolvent:innen mit einem Durchschnitt von 1,5 oder besser zwischen 2006 und 2018 von 8,3 % auf 13,8 % – inklusive einer Verdopplung der 1,0-Abschlüsse innerhalb dieser Zeitspanne. 

Und nun? Statt sich zu freuen, dass mehr junge Menschen ihren Abschluss mit Erfolg meistern, steht plötzlich die Wertigkeit des Abiturs zur Debatte. Schnell ist die Rede von „Noteninflation“, von „verwässerter Leistung“, von „Entwertung“. Aber: Ist diese Kritik berechtigt? Oder trifft sie – wie so oft – genau die Falschen?

Geschenkt bekommt man nichts

Wer in den letzten Jahren Abitur gemacht hat, weiß: Leicht war das nicht.
Pandemie, Online-Unterricht, G8-Chaos, mentaler Druck und steigende Erwartungen – all das war und ist Realität für junge Menschen. Statt das anzuerkennen, wird die Leistung madig gemacht. Dabei geht es um weit mehr als um Zahlen.

Denn: Ein Einser-Abi bekommt man nicht geschenkt. Es braucht Disziplin, Fleiß, Selbstorganisation, Durchhaltevermögen – unabhängig vom Bundesland.

Was viele übersehen: Auch gute Noten bedeuten noch lange keine Garantie für ein erfolgreiches Studium oder Berufsleben. Die Statistik zeigt: An deutschen Universitäten brechen etwa 35% der Bachelor-Studierenden ihr Studium ab – an Fachhochschulen sind es immerhin noch 20 %.

Das zeigt deutlich: Junge Menschen stehen vor Herausforderungen – oft nicht fachlich, sondern organisatorisch, psychisch oder systemisch.

Was ist der wahre Wert von Leistung?

Vielleicht ist es an der Zeit, unseren Blick zu ändern. Anstatt darüber zu diskutieren, wie viele Einser-Abis es geben „darf“, sollten wir uns fragen: “Wofür wollen junge Menschen eigentlich arbeiten? Was treibt sie an? Welche Fähigkeiten sind für die Berufswelt wirklich entscheidend?”

Denn wenn wir ehrlich sind, wissen wir: Noten sind keine Garantie für langfristigen Erfolg.

Diese Erkenntnis teilt auch die Praxis: Gute Noten helfen beim Berufseinstieg, ja – aber langfristig zählen ganz andere Dinge. Engagement, Eigenverantwortung, Teamfähigkeit und Persönlichkeit werden im Berufsalltag oft viel stärker bewertet als die Abschlussnote und werden als deutlich entscheidender für eine Einstellung genannt.  

Hire for Attitude, Train for Skills

Im Recruiting ist das längst kein Geheimnis mehr. Immer mehr Personalverantwortliche orientieren sich an einem Leitsatz, der den Zeitgeist trifft: „Hire for attitude – train for skills.“

Was bedeutet das konkret?

  • Wer motiviert ist, kann lernen. 

  • Wer mitdenken will, entwickelt sich. 

  • Wer Verantwortung übernehmen möchte, wird Leistung bringen – unabhängig vom Schulabschluss.

Und genau hier beginnt ein Umdenken: weg von standardisierten Auswahlprozessen, hin zu einer echten Auseinandersetzung mit den Menschen hinter der Bewerbung.

Was wir bei Teamprove erleben

Bei Teamprove beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage, wie wir Menschen in Organisationen erfolgreich integrieren – nicht nur fachlich, sondern auch kulturell und emotional.

Beim letzten Teamprove-Day in Fulda war unser Thema: „Richtig gutes Onboarding“. Vielleicht beginnt das eigentliche Herzstück schon früher – im Recruiting.

Dort, wo die Entscheidung fällt, wem wir zutrauen, mit uns gemeinsam zu wachsen. Und in keinem Moment unseres Workshops ging es um Noten. Nicht ein einziges Mal.
Stattdessen fragen wir:

  • Passt diese Person zu unserer Kultur, teilt sie unsere Werte?

  • Was motiviert sie?

  • Will sie Verantwortung übernehmen?

  • Lernt sie gern dazu?

Unser Fazit: Entweder haben wir die falsche Brille auf – oder die aktuelle Notendebatte geht wirklich vollkommen an der Realität vorbei.

Was Arbeitgeber jetzt tun können

Statt über das „Einser-Abi“ zu diskutieren, könnten Unternehmen die Energie in folgende Fragen stecken:

  • Wie können wir Bewerbungshürden abbauen?

    Muss es wirklich immer das klassische Anschreiben sein? Oder reicht ein kurzes, ehrliches Motivations-Statement? Können wir mehr Gespräche auf Augenhöhe statt Vorauswahl per Algorithmus ermöglichen?

  • Wie machen wir Potenziale sichtbar?

    Nicht jede Fähigkeit steht im Zeugnis. Dafür aber in der Persönlichkeit, in Hobbys, Projekten, Ehrenamt, Nebenjobs – oder einfach in der Art, wie Menschen kommunizieren.

  • Wie gestalten wir ein echtes Willkommen?

    Ein gutes Onboarding ist keine Prozessfrage – sondern Beziehungsarbeit. Wer neu beginnt, will gesehen und verstanden werden. Ein echtes „Ankommen“ macht den Unterschied zwischen Fluktuation und Loyalität.

Fazit: Die Note ist nicht der Mensch

Ob jemand ein 1,0-Abi hat oder einen Schnitt von 3,0 sagt wenig darüber aus, ob diese Person im Unternehmen glänzen wird. Was zählt, ist Haltung. Leidenschaft. Bereitschaft zu lernen.

Wenn wir das erkennen, wird aus Recruiting endlich das, was es sein sollte: Eine Begegnung auf Augenhöhe. Und vielleicht ist dann irgendwann auch die Debatte um das Einser-Abi einfach nur das: Ein Nebenschauplatz.

Quellen:

Günther, A. (2018, 15. Juli). In Bayern gibt es immer mehr Einser-Abiturienten. Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 31. Juli 2025, von https://www.sueddeutsche.de/bayern/abitur-bayern-einser-abiturienten-1.4049603

Kornprobst, M., & Reinhard, R. (2025, 25. Juli). “Einserschwemme”: Entwerten viele hohe Noten das Abitur? BR24. Abgerufen am 31. Juli 2025, von https://www.br.de/nachrichten/bayern/einserschwemme-entwerten-viele-hohe-noten-das-abitur,UryNKdj

Heublein, U., Hutzsch, C., & Schmelzer, R. (2022). Die Entwicklung der Studienabbruchquoten in Deutschland (DZHW Brief 05|2022). Hannover: Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). https://doi.org/10.34878/2022.05.dzhw_brief

Indeed Editorial Team. (2025, 30. Juli). Wie wichtig sind Noten im Studium für die Bewerbung? Indeed. Abgerufen am 31. Juli 2025, von https://de.indeed.com/karriere-guide/bewerbung/wie-wichtig-sind-noten-studium

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Sophie Wittmann studiert Gesundheitswissenschaft an der TU München und vertieft als Teamprove-Werkstudentin das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft & Health. Sie unterstützt uns bei der Contentproduktion und gestaltet unseren Social-Media-Auftritt aus der Perspektive der Generation Z mit.

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