Stellen Sie sich vor, es gäbe in Ihrem Unternehmen keine Reisekostenrichtlinie mehr. Kein Regelwerk, keine Genehmigungsprozesse, stattdessen gilt die einfache Vorgabe: „Reise so, als würdest du die Kosten selbst tragen.“ Funktioniert nicht? Viele Unternehmen sind sehr erfolgreich mit einer werteorientierten Führungskultur – also einer Haltung, die Strategien und Entscheidungen an einem klar definierten Werte-Set ausrichtet, sowohl an den Unternehmenswerten als auch an den persönlichen Werten der Führungskraft.

Die Idee: Werte und Prinzipien ersetzen Mikromanagement. Mitarbeitende wissen, woran sie sich orientieren sollen. Nicht, weil es in einem Regelwerk steht, sondern weil die Unternehmenskultur es vorgibt und Führungskräfte es vorleben. Wer seinen Mitarbeitenden vertraut und ihnen etwas zutraut, braucht weniger Regeln. Und weniger Regeln bedeuten weniger Bürokratie. 

Ist werteorientierte Führung Idealismus oder Erfolgsfaktor? Der Mittelstand macht es vor.

„Wertebasierte Führung? Klingt nett und macht sich bestimmt gut auf unserer Karriereseite – aber ganz ehrlich, wir müssen gerade Geld verdienen!“ – Kommt Ihnen diese Haltung bekannt vor? Schließlich stehen Führungskräfte unter immensem Druck, Ergebnisse zu liefern, Ziele zu erreichen und Wettbewerbsvorteile zu sichern. 

Ist werteorientierte Führung in der aktuellen Multikrisen-Lage also idealistisch? Einer von diesen kuscheligen “Feel-Good-Ansätzen” für gute Zeiten oder für Konzerne mit komfortablen Margen? Nein. Denn gerade ein Blick in den Mittelstand zeigt: Viele KMU und insbesondere Familienunternehmen leben seit Generationen eine werteorientierte und wertschätzende Führungskultur – nicht aus Imagegründen, als PR-Strategie oder Management-Mode, sondern aus tiefster Überzeugung und als Teil ihres unternehmerischen Mindsets. Ihre Führungspersönlichkeiten sind keine anonymen Konzernmanager, sondern fest in ihrer Region verwurzelt. Ihre Mitarbeitenden und Geschäftspartner sind keine austauschbaren Ressourcen, sondern langjährige Weggefährten und Teil der Unternehmensfamilie. Langfristiger Erfolg wird höher gewichtet als kurzfristige Gewinnabschöpfung. 

Das zahlt sich aus, wie unter anderem ein Vorzeigebeispiel aus dem Gesundheitswesen zeigt: Der niederländische Pflegedienst Buurtzorg ist ohne zentrale Führung und ohne mittleres Management organisiert. Kleine Teams managen sich selbst, auf Anfrage unterstützt von Coaches ohne Weisungsbefugnis. Die Administration wurde durch ein vereinfachtes Abrechnungsmodell radikal verschlankt. Im Zentrum steht der Wertekodex: „Behandle deine Patienten so, wie du selbst behandelt werden möchtest.“ Buurtzorg wurde mehrmals zum attraktivsten Arbeitgeber der Niederlande gewählt und punktet mit der höchsten Patientenzufriedenheit und der niedrigsten Fluktuation im Vergleich zu über 300 Wettbewerbern. Aber auch die harten Zahlen überzeugen: Im Vergleich zu anderen Pflegekonzepten erzielen Buurtzorg-Teams bei 30 bis 40 Prozent weniger Arbeitsstunden je Patient eine um 50 Prozent schnellere Gesundungsquote – was dem holländischen Gesundheitssystem Milliarden spart. 

Führungskompetenzen für werteorientierte Führung

  • Selbstreflexion: Nur Führungskräfte, die sich intensiv mit ihrem eigenen Wertekodex auseinandersetzen, können wertebasiert führen. Was empfinden sie als richtig oder falsch? Welche Prägungen und Glaubenssätze bringen sie mit? Mit welchem Menschenbild führen sie? 

  • Transparenz: Werte müssen formuliert und an die Mitarbeitenden kommuniziert werden. Es erfordert “Ansagen” und einen laufenden Austausch, wie Werte im Unternehmensalltag praktiziert werden und welchen Einfluss sie auf Entscheidungen haben.

  • Authentizität und Ernsthaftigkeit: Führungskräfte müssen Werte vorleben – kurz: den Worten Taten folgen lassen. Auch gilt es konstruktiv mit auftretenden Wertekonflikten zwischen den persönlichen Werten der Führungskraft und den Werten des Unternehmens umzugehen, beispielsweise bei Generationswechseln in inhabergeführten Familienunternehmen.

  • Wertschätzung: Wertebasierte Führung bedeutet Respekt für die persönlichen Werte, die Bedürfnisse und Motivation der geführten Mitarbeitenden. Was nicht bedeutet, dass in einer wertebasierten Führungskultur alle Wünsche erfüllt werden – aber sie ist offen für unterschiedliche Perspektiven und bereit, den gemeinsamen Nenner zu suchen. Umgekehrt sind Mitarbeitende loyaler, wenn sie sich gehört und wertgeschätzt fühlen und die Gründe für Entscheidungen verstehen.

Wertebasierte Führung ist in vielerlei Hinsicht anspruchsvoller als „Command & Control“, aber langfristig auch wirkungsvoller. 

Mehrwerte der werteorientierten Führung

  • Für Führungskräfte: Wer seine eigenen Prinzipien und Werte kennt und in das tägliche Handeln einbezieht, muss sich bei Entscheidungen nicht ständig hinterfragen, anpassen und neu ausrichten, sondern folgt einem klaren Kompass. Und wer Werte statt Regeln vorgibt, schafft ein Umfeld, in dem intrinsische Motivation gedeihen kann und Führungskräfte von Mikromanagement und Bürokratie entlastet werden.

  • Für Mitarbeitende: In einer Welt, die von Krisen und Veränderungen geprägt ist, bietet wertebasierte Führung psychologische Sicherheit, Berechenbarkeit und Sinnhaftigkeit. Mitarbeiter honorieren, dass sie mit klaren, verlässlichen Prinzipien geführt werden. Wer sich mit den Unternehmenswerten identifizieren kann, ist zudem nachweislich zufriedener.

  • Für das Unternehmen als Ganzes: Stimmen im Idealfall die Werte des Unternehmens, der Führungskraft und der Mitarbeitenden überein, entsteht ein starkes Wir-Gefühl und eine kooperative, produktive, innovative Arbeitsatmosphäre, mit mehr Eigeninitiative, mehr Engagement und mehr Erfolg. 

Die intensive Auseinandersetzung mit dem Unternehmensleitbild und dem eigenen Führungscredo ist deshalb kein Luxus, sondern eine Investition sowohl in den Unternehmenserfolg als auch in die Zufriedenheit und die Resilienz der UnternehmenslenkerInnen selbst. 

Der Weg zur werteorientierten Führung: Einfach anfangen – und dranbleiben! 

Die Transformation von Command & Control zu einer wertebasierten Führungskultur ist kein radikaler Umbruch, sondern ein Prozess. Sie müssen nicht von heute auf morgen alles umkrempeln und alle Regeln abschaffen. Ein guter erster Schritt: Die zentralen Werte des Unternehmens klar definieren (oder das bestehende Leitbild überprüfen) und ehrlich hinterfragen, ob das Führungsteam dieses Leitbild im Alltag vorlebt. Wenn ja, warum nicht? Gibt es Wertekonflikte und wie lassen sich diese lösen? Im nächsten Schritt können Sie beginnen, Kontrolle abzugeben und mehr Eigenverantwortung und Selbstorganisation einzufordern. Identifizieren Sie gezielt Bereiche, in denen es sinnvoll ist, starre Regeln durch einen Verweis auf Ihr Leitbild zu ersetzen. Arbeiten Sie falls nötig auch an Führungskompetenzen wie Kommunikation und Feedback. Und ganz wichtig: Evaluieren Sie, was funktioniert (und wo Sie nachjustieren sollten), messen Sie Verbesserungen und feiern Sie Erfolge! Denn wer mit Werten führt, will Vertrauen schenken – aber auch sicherstellen, dass es sich lohnt.

Fazit

Was UnternehmerInnen von der Politik und in der Gesellschaft fordern, haben sie in ihrem eigenen Unternehmen selbst in der Hand: Bürokratieabbau durch ernstgemeinte, gelebte Werte und Prinzipien. Und ich bleibe optimistisch: Was in Unternehmen funktioniert, kann auch in größeren Systemen gelingen!

Wir zeigen Ihnen gerne, wie aus Werten Wertschöpfung entsteht!

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Fasziniert von agilen Methoden begleitet Matthias Pauers Führungs­kräfte auf dem Weg zum „Agile Leader“ und unterstützt Organisationen beim Change Management. Seine Schwer­punkte sind Unternehmens­kultur und Führung, Coaching, Anforderungs­management und Design Thinking.

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