Was bedeutet es für Ihr Projekt, wenn ein wichtiger Know-how-Träger des Teams ausfällt oder wenn ein neues IT-Tool die Erwartungen nicht erfüllt? Wie erkennen Sie möglichst früh, dass es im Projekt nicht rund läuft – und wie viel Risikomanagement ist in agilen Projekten überhaupt sinnvoll? Zwar tragen einige in Scrum genutzte Techniken wie Sprint-Reviews oder Burn-up-Charts zur Risikominimierung bei, aber insbesondere im Enterprise-Umfeld ist ein zusätzliches, systematisches Risikomanagement ratsam.

In meinem aktuellen Projekt bei einem deutschen Großkonzern arbeiten 40 Entwickler und 20 Fachexperten in vier Scrum-Teams gemeinsam an einem komplexen Digitalisierungsprojekt – eine enorme Herausforderung für den strategischen Umgang mit Risiken! Grundsätzlich macht Scrum keine verbindlichen Vorgaben zum Risikomanagement und entsprechend gibt es in der Scrum-Community unterschiedliche Meinungen und Ansätze.

Unser Ziel war es, ein für uns geeignetes Modell zu entwickeln, das

  • den Blick für die Risiken in den Teams schärft
  • einen gemeinsamen Maßstab für die Risikobewertung aufstellt
  • die aktive Minimierung/Beseitigung von Risiken einfordert

Risikomanagement auf Basis von SAFe

Das von uns entwickelte Risikomanagement-Konzept orientiert sich an SAFe und adaptiert die im PI Planning  beschriebenen Elemente:

  • Das Risikomanagement wird fest in die regelmäßigen Retrospektiven integriert.
  • Jedes Scrum-Team dokumentiert die Risiken gemäß SAFe Standards.
  • Die Maßnahmen zur Risikobeseitigung werden auf Basis der SMART Kriterien dokumentiert.
  • Das Vertrauen (Confidence) der Scrum Teammitglieder in die Erreichung des anstehenden Sprints wird unter Berücksichtigung der aktuellen Risiken abgefragt und berücksichtigt.
  • Eine wöchentliche Community of Practice unterstützt das teamübergreifende Risikomanagement.
  • Stakeholder werden zeitnah über den Status Quo aller Risiken bzw. das Auftreten neuer Risiken informiert (konzernkompatibles Risikomanagement).
  • Die Risiken werden an einem Whiteboard je Teamtisch in Form der aus SAFe bekannten Risiko-Matrix visualisiert, um diese den gesamten Sprint über für das Team transparent vor Augen zu behalten (s.u.)

Was ist SAFe?

Agile Methoden wie Scrum sind für den Einsatz in einzelnen kleinen Entwicklerteams konzipiert. Wenn in großen Projekten oder konzernübergreifend mehrere Teams zusammenarbeiten, ist ein erweitertes Framework notwendig, das Lösungen für die Skalierung von Scrum anbietet. In vielen Unternehmen hat sich das Scaled Agile Framework (SAFe) von Dean Leffingwell bewährt, das Elemente aus Scrum, Kanban und Extreme Programming mit Lean Thinking kombiniert.

„As Scrum is to the Agile team, SAFe is to the Agile enterprise.“ Dean Leffingwell

Der Einsatz des Modells in der Praxis

Risiko-Matrix nach SAFe

Jedes unserer Teams nutzt für sein Risikomanagement ein Whiteboard, auf dem jedes Risiko (ungewollter Zustand in der Zukunft mit einer gewissen Eintrittswahrscheinlichkeit) dokumentiert und bewertet wird. Für die Einteilung des Risiko-Status nutzen wir die ROAM-Matrix nach SAFe, sprich die vier Quadranten “Resolved”, “Owned”, “Accepted” und “Mitigated”.

  • Resolved“
    • Das Risiko stellt aus Sicht des Teams kein Problem mehr dar ODER
    • Das Risiko wurde beseitigt (im Team wurden Maßnahmen gemäß SMART-Kriterien vereinbart, die die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos auf 0 Prozent reduzieren.)
  • „Owned“
    Da nicht sofort konkrete Maßnahmen vereinbart werden können, ist ein Teammitglied verantwortlich für das Risiko. Für die kommende Retrospektive hat der Verantwortliche die Aufgabe, Maßnahmenvorschläge gemäß SMART zur Beseitigung des Risikos zu erarbeiten und vorzustellen. Diese werden dann gemeinsam mit dem Team besprochen und das weitere Vorgehen vereinbart.
  • „Accepted“
    Das Risiko wird vom Team verstanden und akzeptiert. Es ist allerdings nicht möglich oder sinnvoll das Risiko zu beseitigen. Beispiele für solche Risiken sind Naturkatastrophen oder durch die Konkurrenz vorgestellte Produkte / Innovationen, von denen das Unternehmen nicht wissen konnte.
  • „Mitigated“
    Es wurden Maßnahmen vereinbart, die zur Vermeidung und damit zu einer geringeren Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos beitragen. Wichtig ist, dass sich das Team über die noch existierende Resthöhe der Eintrittswahrscheinlichkeit bewusst ist!

Maßnahmen-Definition nach SMART-Kriterien

Wir dokumentieren alle Maßnahmen zur Risikovermeidung oder Risikobeseitigung auf Basis von SMART Kriterien:

  • Simple: Die Maßnahme muss einfach in der Umsetzung sein.
  • Meaningful: Die Maßnahme muss ein konkretes Ziel haben (z.B. einen Pain Point eliminieren).
  • Achievable: Die Maßnahme muss erreichbar sein (ähnlich wie “Simple”)
  • Realistic: Die Maßnahme muss realistisch in der Umsetzung sein
  • Trackable: Die Maßnahme muss nachverfolgbar sein (z.B. durch Meilensteine, Datum etc.)

Vote of Confidence

Im abschließenden Vote of Confidence fordern Product Owner und Scrum Master die Teammitglieder auf, ihr Vertrauen in die Erreichbarkeit des folgenden Sprints unter Berücksichtigung der Risiken zu kommunizieren. Dies geschieht durch das Heben der Hand und Anzeige eines Werts von 0 bis 5 durch Ausstrecken der Finger (0 Finger -> kein Vertrauen / 5 Finger -> volles Vertrauen). Es hat sich bewährt, das Sprint Committment zu akzeptieren, wenn der ermittelte Durchschnittswert größer ist als Drei. Ist der Wert schlechter, sollte die Sprintplanung überarbeitet und über weitere Maßnahmen zur Risikominimierung nachgedacht werden.

Wurden in einem der Teams oder von einzelnen Teammitgliedern Risiken identifiziert, die projektübergreifend relevant sind, sollten diese unbedingt im nächsten Scrum of Scrum besprochen werden! Die Scrum Master tragen diese Risiken an die Projektleitung heran und informieren die Teams über den Status.

Fazit aus der Praxis

Dieser Ansatz zur Risikoanalyse und Herleitung von Zielen und Maßnahmen wird seit einigen Wochen in einem unserer Projekte angewandt. Das Feedback der Teams ist bislang durchwegs positiv. Insbesondere beim Management findet das Konzept Anklang, da Risiken aus der Basis heraus – also von den Mitgliedern der Scrum-Teams – erkannt, hinsichtlich der Schadenhöhe bewertet und direkt durch passende Maßnahmen zur Risikovermeidung minimiert werden.

Wichtig war für die Verantwortlichen, dass die Teams bei der Risikoanalyse begleitet werden und eine Moderation erfolgt, um eine gemeinsame Sicht auf die Eintrittswahrscheinlichkeit pro Risiko und die mögliche Schadenhöhe zu erreichen. (Erfahrungsgemäß entsteht eine gewisse Unruhe in den Teams, solange Uneinigkeit über die erkannten Risiken, die ermittelten Ziele und Maßnahmen besteht.)

Wir unterstützen Sie bei der Skalierung und helfen Ihnen, die passenden Rahmenbedingungen für agiles Wachstum zu schaffen.
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Videotipp

Einen guten Überblick zur Risikoanalyse im agilen Umfeld gibt ein kurzes YouTube-Video von isento.
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Christoph Dibbern war als Scrum Master und Agile Coach bei Teamprove tätig.

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