Kann man agile Unternehmenskultur lernen? Wir sind überzeugt: Ja, man kann. Aber der Wandel braucht Zeit. Und er benötigt einiges an Mitmachwillen im Team und im Management – die Bereitschaft zum Umdenken, die Bereitschaft betriebliche Abläufe zu verändern. Aber wie geht man die agile Transformation an? Gibt es überhaupt „den“ Königsweg?

Im ersten Teil unserer Serie „Unternehmenskultur“ sind wir zu dem Fazit gekommen: Agile Prozesse funktionieren nicht ohne eine dazu passende Unternehmenskultur. Sofern Sie also nicht bereits agil unterwegs sind, kommen Sie nicht umhin, Ihren Status Quo zu hinterfragen und Änderungen anzustoßen. Wenn Sie sich nach unserem letzten Artikel mit William Schneiders Core Culture Model auseinandergesetzt haben, wissen Sie inzwischen, ob in Ihrem Unternehmen eine Anweisungskultur, Zusammenarbeitskultur, Vervollkommnungskultur oder Kompetenzkultur gelebt wird. Aber wie geht’s jetzt weiter?

Agilität verleiht Flügel. Oder?

Kernkultur und unternehmerisches Handeln müssen im Einklang stehen – ein Hindernis, das so manche agile Transformation zum Stolpern bringt. Wenn Sie Ihrem Unternehmen also einfach neue Prozesse überstülpen (egal ob Scrum oder Kanban), werden Sie scheitern oder zumindest ineffizient arbeiten. Zwei Beispiele: Ein agiles Team unter einem anweisungsorientierten Management? Schwierig. Ein durch und durch agiler Manager in einer gelebten Anweisungskultur – sagen wir mal der Bundeswehr? (Noch) undenkbar. Enorme Reibungsverluste wären die Folge, sinnvolles Arbeiten in beiden Fällen kaum möglich.

Auf den Punkt gebracht: Wenn agiles Arbeiten Ihrem Unternehmen wirklich Flügel verleihen soll, müssen die neuen betrieblichen Abläufe, Führungsstil und Team-Mentalität zueinander passen. Sofern Ihre Unternehmenskultur noch nicht agil ist, muss sie sich also wohl oder übel bewegen. Aber wie stark, wie schnell und wohin?

Viele Wege führen in die Agilität

Manchen Unternehmen fällt die Einführung von Agilität leichter als anderen. Sind diese Firmen immer von Beginn an schon einen Tick agiler? Oder gehen Sie den Wandel anders an? Betrachten wir dazu nochmals das Core Culture Model von William Schneider: Er ordnet seine vier Kulturformen in einer Matrix mit den beiden Achsen „Wirklichkeit – Möglichkeit“ (Blickrichtung der Organisation) und „persönlich – unpersönlich“ (Bewertung & Entscheidungsfindung) an.

Kulturen, die sich diagonal gegenüberstehen, sind am gegensätzlichsten. Ganz unabhängig von der Frage nach Agilität ist eine organisatorische Veränderung zwischen diesen Quadranten die größte Herausforderung. Etwas weicher ist die Bewegung entlang einer Achse. Je nachdem, wo Sie also starten, welches Ziel Sie haben und welche Route Sie nehmen, fällt Ihnen der Kulturwandel mehr oder weniger leicht.

Scrum-Coach Michael Sahota baut auf Schneiders Modell auf und stellt eine Verbindung her zu Strömungen, die salopp unter dem Oberbegriff „agile Methoden“ zusammengefasst werden:

  • Agile Prozesse im Sinne des Agilen Manifests wie z.B. Scrum benötigen eine Zusammenarbeitskultur (bis hin zur Vervollkommnungskultur).
  • Kanban (es wird Sie vielleicht überraschen) ist eher der Anweisungskultur zuzuordnen. Wie in unserem Artikel über Kanban ausgeführt, visualisiert und misst Kanban im ersten Schritt lediglich bestehende Prozesse, ohne diese zu verändern. Keine Rollen, keine Sprints.
  • Die Bewegung Software Craftmanship mit ihrem hohen Qualitätsverständnis und dem Fokus auf persönliches Können fällt unter Kompetenzkultur.

Kanban als Einstiegsdroge

Was bedeutet das für „klassische“ Unternehmen, die großteils noch in einer Anordnungskultur arbeiten? Durch Michael Sahotas Ansatz wird klarer, warum sich so viele Unternehmen mit Kanban deutlich leichter tun als mit Scrum. Denn die Einführung von Kanban bedeutet gefühlt die geringste Veränderung. Viele Teams, viele Manager atmen auf: Wir müssen ja gar nicht alles umkrempeln! Und doch zeigt unsere Erfahrung, dass Kanban einen Prozess anschiebt. Denn sobald die Schwachpunkte am Kanbanboard visualisiert sind, entsteht auch der Wille, diese Fehlfunktionen gemeinsam zu optimieren – der erste Schritt in Richtung Zusammenarbeitskultur ist getan. Sahota spricht deshalb bei Kanban von einer „Einstiegsdroge“.

Wir können das bestätigen! Sicher, Kanban ist noch keine agile Transition, aber auf jeden Fall ein erprobter Weg, um mit der bestehenden Kernkultur (und nicht gegen sie) das Beste für das Unternehmen zu erreichen. Und Kanban ist ein Weg, der in ganz vielen Fällen Lust macht auf weitere Veränderungen. Insofern sehen wir Kanban nicht als Sackgasse oder Umweg, sondern als eine nicht ganz so steile Variante, die Unternehmenskultur agiler zu gestalten.

Scrum ohne Umwege

Selbstverständlich funktioniert auch die direkte Einführung von Scrum, der Übergang ist allerdings meist nicht ganz so sanft und es „knirscht“ etwas stärker im Unternehmen. Sie müssen sich deutlich intensiver mit den Grundsätzen agiler Führung und den Voraussetzungen für motivierte Teams auseinandersetzen, unbequeme Fragen aushalten und eine hohe Bereitschaft zur Veränderung mitbringen. Ist das Team fähig zur Selbstorganisation? Wie sieht es aus mit Transparenz? Erträgt das Management überhaupt das neue Verständnis von Führungsrollen? William Schneider geht davon aus, dass für eine erfolgreiche agile Transformation mindestens 75 Prozent der Führungskräfte von der Notwendigkeit überzeugt sein sollten. Das ist in Ihrem Unternehmen der Fall? Dann legen Sie mal los!

Der Start in die agile Transformation

Jetzt erwarten Sie vermutlich von uns, dass wir Ihnen einen Marschplan vorgeben mit festen Etappenzielen, die Sie step by step abhaken können. Zuerst das Management coachen? Oder lieber erst das Team schulen? Aber ich muss Sie enttäuschen, so einfach ist es nicht. Ein Set an Vorgehensweisen, das in dem einen Unternehmen funktioniert, ist bei einem anderen Unternehmen möglicherweise völlig fehl am Platz. Wichtiger als eine feste Route ist das richtige Gepäck, sprich geeignete Rahmenbedingungen!

#1: Vertrauen

Eine Grundvoraussetzung – vielleicht sogar die wichtigste – ist „Vertrauen“. Häufig erleben wir, dass zu Beginn die Überzeugung fehlt, bestimmte Dinge wirklich ändern zu können. Das kann ein skeptisches Management sein, aber auch in den Teams gibt es häufig Widerstände gegen Veränderung. In diesen Fällen macht es wenig Sinn, gleich mit Schulungen um die Ecke zu kommen. Lieber fordern wir einen kleinen Vertrauensvorschuss beim Management ein, um mit dem Team in Ruhe erste Veränderungen beginnen zu können. Oft sogar ohne Begrifflichkeiten wie „agil werden“ oder „wir machen jetzt Scrum“. Wir geben dem Team lediglich Denkanstöße, wie schnell erste Erfolge erreicht werden können, so dass das Vertrauen sowohl in die eigene Leistungsfähigkeit als auch zum „Prinzip Veränderung“ an sich aufgebaut wird. In kleinen Schritten ändert das Team immer mehr Prozesse, bis alle erstaunt feststellen: „Eigentlich machen wir doch jetzt sowas Ähnliches wie Scrum, oder?“ An diesem Punkt macht es dann Sinn, tiefer in die jeweils gewählte Methodik einzusteigen und Team und Management zu schulen.

#2: Team

Ein weiterer wichtiger Punkt ist „Team“. Ohne Team keine Agilität. Deshalb versuchen wir in Workshops den Status Quo der bisherigen Unternehmenskultur herauszufinden: Sehen sich die Mitarbeiter als Team – oder eher als Gruppe? Und ist der Unterschied allen Mitarbeitern überhaupt klar? Im Team steht das gemeinsame Ziel im Vordergrund, während in der Gruppe individuelle Einzelziele verfolgt werden. Haben wir es nicht mit einem Team zu tun, wird die Einführung von Scrum eher schwierig, da die Teilnehmer (noch) nicht für crossfunktionales Arbeiten bereit sind. In diesen Fällen ist Kanban ein möglicher Weg.

#3: Begleitung

Unser dritter Tipp ist: Suchen Sie sich einen Begleiter! Ich sage hier bewusst nicht „Berater“ oder „Coach“ – bei einem Kulturwechsel werden Sie vermutlich beide Qualifikationen im Sinne eines Mentors benötigen. Wichtig ist, dass er (oder sie) zu Ihrem Unternehmen passt und dass Sie ihm vertrauen (er wird nämlich wie erwähnt einen Vertrauensvorschuss von Ihnen erwarten…) Ein gut gewählter Transformationsbegleiter steht neutral zwischen Management und Mitarbeitern, macht auf Schwierigkeiten aufmerksam und fordert bei allen den nötigen Beitrag ein. Er wird den Kulturwandel optimal an die Gegebenheiten Ihres Unternehmens anpassen, so dass dieser so sanft wie möglich verläuft. Sie werden lernen, das Element der Retrospektive einzusetzen, um immer wieder über notwendige Veränderungen und Erfahrungen nachzudenken und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Wichtig: Ein guter Begleiter wird Ihnen auch helfen durchzuhalten, sobald ein Rückfall in alte Gewohnheiten droht.

Wenn Sie so weit gekommen sind: Glückwunsch, dann sind Sie und Ihr Team im Flow der Veränderung! Und sollte der Weg vorübergehend steinig werden, halten Sie es mit Erich Kästner:

„Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen!“

Ausblick

Im dritten Artikel dieser Serie werden wir uns mit der Rolle des Managements beschäftigen:
– Was zeichnet agile Führungskräfte aus?
– Wie führt man agile Teams bzw. agile Unternehmen?
– Wie gestalten Sie nötige Veränderungen so, dass alle mitziehen?
– Wie leben Sie eine agile Unternehmenskultur vor?

Egal, ob Sie externes Feedback zu Ihrer Unternehmenskultur wünschen oder einen Begleiter bei der agilen Transformation suchen: Wir unterstützen Sie gerne.

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Fasziniert von agilen Methoden begleitet Matthias Pauers Führungs­kräfte auf dem Weg zum „Agile Leader“ und unterstützt Organisationen beim Change Management. Seine Schwer­punkte sind Unternehmens­kultur und Führung, Coaching, Anforderungs­management und Design Thinking.

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