„Wir haben die Aufgabe verstanden“, sind sich die Produktentwickler sicher. „Das haben wir doch ganz anders gemeint“, ärgern sich die Stakeholder Wochen später. „Das geht an den Wünschen unserer Kunden vorbei“, bemängelt der Vertrieb kurz vor der Markteinführung. Wenn die Fachabteilungen unterschiedliche Sprachen sprechen, sind Missverständnisse und Konzeptlücken vorprogrammiert.

In meinen Projekten lege ich deshalb großen Wert auf intensive Kommunikation aller Beteiligten. Ich setze gerne „Event Storming“ ein: Das moderne Workshop-Format für interdisziplinäres Brainstorming hilft, Unklarheiten und Konzeptlücken bereits in einer sehr frühen Phase der Produkt- oder Prozessentwicklung zu entdecken und zu beseitigen. Außerdem macht Event Storming Spaß – und es funktioniert auch remote!

Warum Event Storming?

Ich bin überzeugt von agilen Methoden und vom Prinzip der iterativen Entwicklung. Denn ein agil arbeitendes Team ist in der Lage, im Lauf des Prozesses Missverständnisse selbst zu erkennen und nach und nach die beste Lösung für die Aufgabenstellung zu finden. Klar ist aber auch, dass viele Iterationen Zeit und Geld kosten. Ziel sollte es also sein, vermeidbare Missverständnisse, Unklarheiten und Know-how-Lücken schon ganz am Anfang des Projekts zu beseitigen – ohne sich in unendlichen Meetings und Dokumentationen zu verlieren.

Entstanden ist Event Storming im Softwareumfeld, wird heute aber immer häufiger auch in anderen Kontexten eingesetzt. Denn der Ansatz ist problemlos auf andere Bereiche übertragbar: Es geht darum, mit überschaubarem Aufwand disziplinübergreifend ein gemeinsames Verständnis eines Wissensgebiets zu erreichen und Wissenssilos aufzulösen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Zahlungsabwicklung eines Onlineshops betrachtet wird oder das Mitarbeiter-Onboarding in der Personalabteilung, die Digitalisierung von Workflows im Vertrieb oder die Entwicklung eines physischen Prototyps.

Im Gegensatz zu vielen anderen Brainstorming-Formaten ist Event Storming „rückwärts“ gedacht, d.h. der Prozess wird nicht von Nutzeranforderungen ausgehend entwickelt, sondern die Teilnehmer rekonstruieren vom Ergebnis her die vorausgegangenen „Events“, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Ein einfaches Beispiel: Geht es um das Wissensgebiet „Zahlungsabwicklung im Online-Shop“, wäre das Endergebnis „Zahlung eingegangen“. Davon ausgehend wird überlegt, welche fachlichen Ereignisse stattgefunden haben müssen, um dieses Ergebnis zu erreichen, beispielsweise „Kunde hat Zahlungsmethode gewählt“, „Kunde hat Warenkorb bestätigt“, „Kunde hat Versandadresse eingegeben“, „Bestellbestätigung per Mail versandt“ u.v.m. So entsteht nach und nach ein chronologisches Bild des aktuellen Workflows, zu dem die Teilnehmer der unterschiedlichen Abteilungen ihr Wissen beisteuern und sich untereinander über das „Warum“, „Wann“ und „Wie“ austauschen.

Der Teilnehmerkreis

Die Gruppe sollte disziplinübergreifend zusammengesetzt sein und möglichst viele verschiedene Perspektiven auf das Projekt oder den Prozess ermöglichen, also z.B. Stakeholder, Führungskräfte, Fachexperten, spätere Nutzer, Vertriebler und Personen, die die Aufgabe später umsetzen.

Der Ablauf eines Event Storming-Workshops

Sie benötigen einen Raum OHNE Sitzgelegenheiten, Teilnehmer aus unterschiedlichen Fachbereichen, einen sehr langen Streifen Papier an der Wand (ca. 10 Meter und mehr je nach Gruppengröße) und ausreichend Platz davor, damit die Teilnehmer sich gut bewegen und unterhalten können, sowie sehr viele Post-its in vier bis fünf Farben und einige dicke schwarze Stifte. Ich empfehle außerdem einen Moderator, der den Ablauf erklärt und dabei hilft, dass die Gruppe nicht zu früh zu tief in fachliche Details einsteigt.

Dann geht es los: Alle Teilnehmer erhalten orange Post-its und sollen damit die oben erklärten „Events“, also relevante Ereignisse im Geschäftsablauf, auf der Papierbahn aufhängen. Meist entstehen bereits jetzt ganz automatisch Diskussionen über die richtige zeitliche Reihenfolge, eventuelle Lücken, die Richtigkeit oder Notwendigkeit von Prozessschritten.

In moderierten Verfeinerungsrunden geht es darum, Begrifflichkeiten zu klären: Wurden für ein und dasselbe Ereignis Post-its in unterschiedlichen Bezeichnungen aufgehängt? Oder müssen Begriffe geschärft werden, die für unterschiedliche Ereignisse notiert wurden? Lässt sich Einigkeit über die verwendeten Begriffe erzielen, mit denen sich alle wohl fühlen und in Zukunft umgehen können? Dementsprechend empfiehlt sich auch ein fortwährend gepflegtes Flipchart für die gemeinsame Definition von Begriffen, um das gemeinsam gewonnene Verständnis für spezielle Begriffe festzuhalten.

Remote-Tipp

Ein Event Storming lässt sich auch virtuell mit einem gemeinsamen digitalen Whiteboard durchführen, beispielsweise als Kickoff-Workshop für Projekte, deren Stakeholder und beteiligte Abteilungen nicht am gleichen Standort arbeiten. Wird die Gruppe für ein effizientes Online-Meeting zu groß (> 10 Teilnehmer), macht die Aufteilung auf verschiedene Themen-Sessions Sinn, deren Ergebnisse aber auf einem gemeinsamen digitalen Whiteboard zusammengetragen werden. Wir setzen für Online-Workshops gerne MIRO als kollaboratives, digitales Whiteboard ein. Die Rolle des Moderators wird in Online Event Stormings noch wichtiger!

In weiteren Runden geht es jetzt mit zusätzlichen Post-its Farben tiefer in die fachlichen Zusammenhänge. Jede Farbe der Post-its hat eine bestimmte Bedeutung – legen Sie diese Bedeutungen in einer Legende für alle auf einem Flipchart sichtbar fest. Mögliche Beispiele:

  • Eventtrigger visualisieren (wodurch wird das Ereignis ausgelöst?)
  • relevante Akteure identifizieren
  • automatisierte Abläufe anmerken („immer wenn x, dann passiert y“)
  • unlogische Abläufe oder Widersprüchlichkeiten kennzeichnen

Der Vorteil

Event Storming vereinfacht fachübergreifende Lernprozesse und intensiviert den Know-how-Transfer. Das gegenseitige Verständnis wächst ebenso wie das Verständnis über die Zusammenhänge im Gesamtprozess. Flaschenhälse und unlogische oder fehlerhafte Abläufe können früh aufgedeckt werden.

Gerne organisieren wir mit Ihnen gemeinsam einen Event Storming-Workshop und leiten als Moderator durch den Tag!

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Christoph Dibbern war als Scrum Master und Agile Coach bei Teamprove tätig.

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